Karl Berger – Philip Catherine | 13.01.2006

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Warum empfinden immer weniger Menschen Lärm und Geplapper, Hektik, Stress und Chaos als etwa völlig Unnormales? Weil in unserer Schneller-Höher-Weiter-Besser-Lauter-Welt immer mehr die Alternativen fehlen, die Vergleiche wie es eigentlich noch sein könnte.

Auch in der Musik. Ein Duo wie das des deutschen Pianisten/Vibrafonisten Karl Berger und des englisch-belgischen Gitarristen Philip Catherine wirkt inmitten der Geräuschkulisse des 21. Jahrhunderts so exotisch wie ein Marsmännchen auf dem Times Square. Leise Klänge am Rande der Hörbarkeit, getupfte Noten, die Reduktion auf das wirklich Wesentliche, spektakuläre Simplizität, schlanke, entkernte Lyrik. Es säuselt, flirrt und vibriert, es atmet und pulst, und niemand beim ersten Konzert des neuen Jahres im Neuburger „Birdland“-Jazzclub wagt selbst zu atmen, zu husten oder mit dem Glas zu scheppern. Eine eigenartige Lautlosigkeit, die fast ein Pfeifen im zivilisationskranken Ohr erzeugt. Doch: Berger und Catherine tun richtig gut.

Im gewissen Sinn ist es Ambientmusik. Weit entfernt jedoch von glatten Dekoklängen oder belanglosem Fahrstuhlgesäusel. Die Stücke liegen da wie scharfkantige Wattebäuschchen. Oder wie unfertige Holzklötze. Sperrig, warm, seltsam vertraut, auf beruhigende Weise rätselhaft. Weit entfernt vom Uniformen, jedes Exemplar etwas Besonderes. Ein Angebot. Die Kunst der rohen Balladen, der ungeordneten Harmonien. Berger und Catherine lassen der Ruhe Raum und verbauen damit nicht den Weg zum Weiterdenken. So etwas kann nur aus der Altersweisheit zweier großer Musiker entstehen.

Berger, der 70-jährige Doktor der Musikwissenschaften und Soziologie aus Heidelberg, der in den Staaten für Jazz-, Pop- und Remixgrößen wie Bill Laswell, Sly & Robbie, Angelique Kidjo und Jeff Buckley Arrangements schreibt, darf nach Jahren der Lehrtätigkeit endlich nur noch Musiker sein. Den eigenwilligen, nonkonformistischen Vibrafonisten geben. Sein Spiel: Kein effekthaschendes Geklöppel. Gedämpfte, fast zurückgezogene Anschläge, Echos, die hinter dem Klang verschwinden. Eine Magie der stillen Töne.

Am Flügel dirigiert er dezent das nach allen Seiten offene Interplay mit seinem Partner. Sie jonglieren mit Synkopen. Dabei entsteht ein Kreiseln, Pendeln, bei dem die Atonalität zum Wohlklang wird, vermutlich auch wegen der angenehmen Lautstärke. Die Titel stammen entweder aus der Feder Bergers oder gemeinsamer Heroen wie Eric Dolphy oder Monk. Es sind matt schimmernde Kleinodien, die zunächst keiner erkennt, die aber auf einer bis dato kaum betretenen Wahrnehmungsebene mit einem Mal zu glitzern beginnen. Irgendwann klirrt und scheppert es, als würde ein alter Traktor mit Kolbenfresser über die Bühne rumpeln. Catherines wunderbar schrullige Gitarre reagiert auf jeden Impuls des Partners, vibriert, als stünde sie permanent unter Strom.

Selbst wenn die Beiden in Sonny Rollins’ „Doxy“ einmal überfallartig zu swingen beginnen, wirkt ihr Vortrag nie glatt, ölig oder beliebig, sondern stets irgendwie bockig, knorrig, unlenksam und gerade deshalb hinreißend aufrichtig. Spätestens in diesem Moment hat die Revolution der Stille im ausverkauften Hofapothekenkeller wieder einen grandiosen Etappensieg errungen.