Es gibt gleich eine Reihe guter Nachrichten: Seit dem vergangenen Wochenende stehen wieder die Ü-Wagen des Bayerischen Rundfunks in der Amalienstraße, um zum 14. Mal Konzerte für das Birdland Radio Jazz Festival aufzuzeichnen. In Zeiten, da die umstrittene ARD-Rundfunkreform auch dem Jazz an den Kragen will, durchaus etwas Besonderes. Und die Frauen geben zum Auftakt eindeutig den Ton an! Mit Wokeness oder dem krampfhaften Bemühen um Diversität hat das rein gar nichts zu tun, sondern einzig und allein mit der herausragenden Qualität der Protagonistinnen. Denn was die schwedische Posaunistin Karin Hammar und die italienische Pianistin Rita Marcotulli zusammen mit drei bestens aufeinander abgestimmten Männern auf der Bühne des bis auf den letzten Platz besetzten Hofapothekenkellers kredenzen, das verdient allemal das Gütesiegel „Weltklasse“.
Bei Karin Hammar, dieser groß gewachsenen, gravitätischen 49-jährigen Musikerin aus dem südschwedischen Boden, fallen einem auf Anhieb ein paar der längst platt getretenen Klischees des Jazz-Kauderwelsch ein. Als da wäre zum Beispiel „Nordisch“. Natürlich spannen sich ihre Melodien über einen weiten Horizont, wirken tendenziell eher nachdenklich und ruhig, offenbaren aber von Sekunde zu Sekunde ansteigend eine unüberhörbare Freude. Diese spiegelt sich auch in launigen Wortspielen wie „Rest In Peace And Stay Alive“, „Mammakech“ oder „Habbit Rabbit“ wider. Und dann wäre noch das komplett abgedroschene Ding mit dem „Geschichten erzählen auf dem Instrument“. Ja, ihr Posaunenspiel besitzt einen ganz eigenen, betörenden, kurzweiligen und fesselnden Tonfall. Es beschreibt weite melodische Bögen, klingt melancholisch warm, sucht die exquisitesten Tonschritte. Aber Karin Hammar scheint an ihrem Instrument in Siebenmeilenstiefeln unterwegs zu sein, in weiten, ausdrucksvollen Schritten. Die majestätische Spieltechnik der Schwedin glänzt besonders in eigenwilligen Midtempo-Stücken, ihre Soli gestaltet sie dabei allerdings so vielfältig, dass sie voll kleiner, überraschender Wendepunkte stecken. Groove und Swing sind ihr dabei immer wichtig.
Die eigentliche Magie dieses exquisit aufeinander abgestimmten Quintetts mit der ungewöhnlichen Instrumentierung liegt in der außergewöhnlichen Sandwich-Position der Posaune, die sich zwischen Gitarre und Piano wie auf einem doppelten Luftkissen betten und völlig frei entfalten kann. Während Hammar ihre Glissandi wie Kometen über ihre Eigenkompositionen platziert, bildet der Saitenklang von Andreas Hourdakisʼ Gitarre durch seine knappe Attacke mit den feinen Singlenotes einen faszinierenden Gegenpol. Und dass die unglaubliche Pianistin Rita Marcotulli auch diesmal wieder ein Publikum in Neuburg mit offenen Mündern zurücklässt, weil sie zum x-ten Mal Dinge aus dem Handgelenk schüttelt, die so niemand von ihr erwartet hätte, überrascht immer wieder. Die 65-jährige Römerin mutet wegen ihrer permanenten Überraschungseffekte längst wie eine freundliche Zauberin an, die statt der üblichen Häschen einen Kobold nach dem anderen aus dem Hut hervorkramt. Dazu funktionieren der Kontrabassist Pär-Ola Landin und Drummer Fredrik Rundqvist wie ein geöltes Uhrwerk, das mühelos zwischen Druck und Drive, Entspannung und Entschleunigung switchen kann.
Die Zugabe trägt den bezeichnenden Titel „Choose Your Issues“ (Wählen Sie Ihre Themen). Und so klingt der Song auch: wie eine Summe aus Versatzstücken, die schlussendlich in einen wuseligen, quecksilbrigen Hauptstrom münden. Und in dessen Mitte schlängelt sich die Posaune wie eine meterlange Schlange. Seit J. J. Johnsons spektakulärem Stadttheaterkonzert 1995 hat dieses Zug-Instrument nicht mehr einen derart nachhaltigen Eindruck hinterlassen, wie diesmal bei Karin Hammar. Zum großen Glück für die Hörer von BR-Klassik und Bayern 2 aufgezeichnet!