Kagerer – Nieberle | 21.12.2001

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Noch schnell ein Hüsteln, ein Stühle rücken, eine letzte Bestellung. Dann ist die stade Zeit wirklich angebrochen. Drei Tage vor Heiligabend sorgen zwei Gitarren und vier Hände im Neuburger „Birdland“ endlich für das, was zuvor drei Wochen lang keine noch so bemüht inszenierte Besinnlichkeit zustande gebracht hat: Ruhe, Entspannung, Heimeligkeit.

Helmut Kagerer und Helmut Nieberle vollbringen solche kleinen musikalisch-spirituellen Wunder seit Beginn der Hofapothekenära, und sie gehören für die Besucher des „Clubs“ längst so unverrückbar zu Weihnachten, wie der Baum oder die Festtagsdauerwelle. Dabei kämen die beiden Helmuts niemals auf die Idee, den Leuten irgendeine aufgesetzte Pathos-Mogelpackung zu verkaufen. Das bayerische Weltklasse-Duo stillt vielmehr all die jazzigen Sehnsüchte, welche sich über das lärmgeplagte Jahr hinweg angestaut haben. Eine Oase der weich fließenden Läufe und phantasievoll variierten Motive.

Die Kunst der beiden wiederholt sich von Fest zu Fest und verblüfft doch immer wieder aufs Neue: Keines ihres Konzerte gleicht dem anderen, selbst Stücke aus den vergangenen Jahren klingen anders, viel subtiler, ausgefeilter, reifer. Resultat einer asynchronen Metamorphose, die ihre keineswegs kleinen gemeinsamen Nenner scheinbar stets beim letzten Jazzkonzert des Jahres sucht und auch findet.

Während Kagerer, wieder genesen von einem schweren Verkehrsunfall, seine Wandelbarkeit zwischen einsam schön und orchestral vollkommen, zwischen Wes Montgomery und Joe Pass scheinbar noch perfektioniert hat, bewegt Nieberle das klassische Jazzgitarrenspiel immer mehr zu dessen Roots zurück. Django Reinhardt führt seine Hand und stand sicher auch bei der gerade für den Neuburger Keller maßgeschneiderten Idee Pate, zwei Stücke ausschließlich mit akustischen Instrumenten zu interpretieren.

Das kongeniale Tandem zelebriert seinem Auftritt mit aufrichtiger Verve, kredenzt – auch schon traditionell – in Gestalt von „Bouncing at Birdland“ ein eigens komponiertes Neuburg-Stück, leistet sich das verschmitzte Vergnügen, eine Kästner-Textvertonung ohne Gesang („Miss Understanding“) auf zwölf Saiten über die Rampe zu schicken oder schlüpft einfach in die Larven all der Gitarrengötter, ohne sich als konturlose Chamäleons darzustellen.

Noch ein bisschen wärmer, fast festlicher wurde es freilich, als der Klarinettist Stephan Holstein als Überraschungsgast im zweiten Set die Bühne erklomm. Die spontane Renaissance des „Clarinet Trios“, das Anfang der 90er einen Siegeszug der leisen Töne begann, brachte herrlich verzahntes Interplay sowie weniger gezupfte als getupfte Soli mit hoch spannenden Arrangements fernab jeglicher Caféhaus-Harmlosigkeit, wie das vergnügliche, metrisch gestrickte „Lullaby of Birdland“.

Auch wenn Kagerers Verstärker gegen Ende des Abends zickte: Nie waren die beiden Helmuts so überzeugend wie diesmal. Das Gleiche lässt sich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch über ihr Weihnachtskonzert 2002 sagen. Schön, wenn Musiker immer wieder ihre eigene Decke durchstoßen und sich durch nichts und niemanden aufhalten lassen.