Jon Faddis Quintet | 15.09.1995

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Gibt es tatsächlich eine Reinkarnation von Dizzy Gillespie? Als Besucher des Neuburger Birdland-Jazzclub am vergangenen Freitag wäre man beinahe Opfer solch übersinnlicher Gedanken geworden. Denn obwohl der legendäre Bebop-Trompeter schon seit 1993 tot ist, leben sein unverwechselbarer Sound, seine sprühenden Ideen und sein gewinnender Humor in einem jüngeren Musiker weiter. Jonathan Faddis aus dem kalifornischen Oakland, der mit einem beeindruckenden Gastspiel die dreimonatige Durststrecke im Jazztempel der Ottheinrichstadt beendete, verkörpert all diese Attribute nahezu perfekt. Kein Wunder: schließlich gilt Faddis als der glühendste aller Gillespie-Anhänger unter den Jazz-Weltstars.

Schon im zarten Knabenalter von elf Jahren konnte der heute 42jährige Trompeter alle Soli seines großen Vorbildes auswendig. Wie stark die pubertäre Prägung ganz offenkundig immer noch nachwirkt, erfuhr das bis auf den allerletzten Platz besetzte Neuburger Birdland durch eine regelrechte Gillespie-Homage. „Birks works“, „Dizzy Atmosphere“, „Hot House“, „Con Alma“ oder „A Night in Tunesia“ hießen die Titel, die Faddis mit seiner glänzend inspirierten Begleitcrew genußvoll zelebrierte. Zwar bedürfen seine permanenten Parforce-Ritte im High-Note-Bereich schon ein wenig der Gewöhnung, doch in Sachen Technik gibt es derzeit nur wenige Trompeter von solcher Klasse.

Sein Ton kommt strahlend und kräftig, mitunter gurgelnd und saugend. Jon Faddis Trompete schreit wie ein Vogel oder säuselt bei Balladen (mit Dämpfer) wie ein Strohhalm im Wind. Die Einbeziehung der bebop-typischen flatternden Noten beherrscht er derart meisterhaft, daß selbst aus einem im Mördertempo interpretierten „Red Cross“ noch jede Menge Swing herauszufühlen ist. Der Aufbau seiner Soli strotzt nur so vor Spannung, wobei Faddis auch alle Tricks der Differenzierung glänzend beherrscht. Warum dem einstigen Jazz-Wunderkind aber trotz seiner überragenden Fähigkeiten bis dato der ganz große Durchbruch versagt geblieben ist, wurde im Hofapothekenkeller ebenfalls klar: der perfekte Gillespie-Kopist hat einfach über alle Huldigungsversuche an seinen Ziehvater die Entwicklung einer eigenen, Jon-Faddis-typischen Trompetensprache vernachlässigt.

Daß der Abend dennoch (oder gerade deshalb) zu einem der feurigsten Auftaktkonzerte der vergangenen Jahre geriet, lag auch an Faddis` Sidemen. Als klassischer Blues-Altsaxophonist im Stile eines Oliver Nelson sammelte Jesse Davis jede Menge Pluspunkte. Seine schnörkellosen, flexiblen Linien im Unisono mit Faddis gehörten zu den Sahnestückchen. Ein Genuß auch die ansteckend groovende Rhythmusarbeit von Peter Washington am Kontrabaß und Alvin Queen am Schlagzeug, die in jeder Geschwindigkeit wie ein Chronometer miteinander verbunden blieben, sowie die leicht perlenden Intermezzi von Jungtalent Geoff Keezer am Piano. Von ihm hätte man sich freilich noch mehr seiner stark an McCoy Tyner erinnernden Quinten im Baß und farblich satten Akkorde in der Mitte der Klaviatur gewünscht.