Johnny O’Neal Trio | 26.11.2021

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Tatsächlich wieder ein Konzert! Wirklich? Vorsichtiger Blick: Ja, im Inneren brennt Licht. Und Leute gehen hinunter in den Hofapothekenkeller, zeigen ihre Impf- oder Genesenenbescheinigungen sowie zusätzlich das negative Testergebnis vor. 2G-Plus heißt der neue Zugangscode, der vielen Veranstaltern aus Kultur, aber auch Sport eine scheinbar kilometerhohe Hürde auftürmt. Nur 25 Prozent Auslastung sind erlaubt. Für die Münchner Allianz Arena bedeutet das 18 750 Zuschauer, für den Neuburger Birdland-Jazzclub ganze 20. Gekommen sind 17. Eine handverlesene, exklusive Zahl. Besser als nichts? „Wir machen es vor allem, damit es irgendwie weitergeht und die Musiker nicht im Regen stehengelassen werden“, sagt Birdland-Chef Manfred Rehm, der sich nicht kampflos ergeben will. Aber rechnen werden sich die kommenden zwei Stunden kaum.

Des Autoren Gedanken beginnen zu schweifen, an die ersten Jahre, als bei manchen Avantgarde-Konzerten noch weniger Leute in das Gewölbe kamen – ohne behördliche Beschränkung. Lang, lang istʼs her. Seither brummt es hier in schöner Regelmäßigkeit, die „Geisterkonzerte“ im vergangenen Jahr während des zweiten Lockdowns im November einmal ausgenommen. Und dann dieses seltsame, unwirkliche Szenario, das auf den ersten Blick wie Desinteresse oder Boykott aussieht, und das noch dazu bei einem Gast aus den USA, dem Pianisten und Sänger Johnny OʼNeal. Aber weit gefehlt! Das Publikümchen ist vom ersten Ton voll da, genussbereit und applausfreudig, goutiert jedes perlende Stride-, Blues- oder Gospelsolo des 65-Jährigen wie ein klangtechnisches Naturwunder, obwohl Johnnys Kunst über gutes, solides Handwerk nur selten hinausgeht. Aber wen interessieren schon hehre Ansprüche oder Vergleiche mit anderen Helden, die ihre Finger in der Vergangenheit in den Bösendorfer-Flügel legten? Es gilt, den Moment zu feiern, sowohl von Seiten der Musiker wie auch bei den unbeugsamen 17. Wer weiß, ob es nicht vielleicht diesmal tatsächlich das letzte. . .

Nicht an morgen denken! OʼNeal, der auf eine Mitgliedschaft bei Art Blakeys Jazz Messengers und eine Rolle als Art Tatum im Kino-Blockbuster „Ray“ über das Leben von Ray Charles verweisen kann, dieser singende Pianist oder Piano spielende Sänger, wird nicht müde, sich zu bedanken. Der Club sei ein Traum, ebenso wie das Publikum. Er und sein europäisches Trio mit dem italienischen Schlagzeuger Alessi Piero und dem polnischen Bassisten Mark Lewandowski ziehen dafür alle Register. Es swingt pausenlos, entweder bei „Born To Be Blue“ oder der Hommage auf Johnnys großes Vorbild „Sweet Monk“. In „Liʼl Darling“ entschleunigt der freundliche Gentleman mit seinem Samtpfötchen das Thema bis zur maximalen Entspannung. Hin und wieder lässt er sich leider – ganz im Geiste von besagtem Art Tatum – allzu widerstandslos in die weichen Daunenkissen der träufelnden Balladen fallen. Vorsicht Rutschgefahr!

Nat King Cole nicht zu vergessen, vor allem wegen Johnny OʼNeals fast epischer Scat-Exkurse, an dessen Ende er die tapferen 17 sogar noch zum Mitsingen bewegt. Ja, es ist Stimmung, eine verdammt gute sogar. Ganz zum Ende – die Birdland-Crew blickt immer wieder zur Uhr, weil Punkt zehn wegen der verordneten Corona-Sperrstunde Schluss sein muss – haben die drei tatsächlich ihr inneres Pendel justiert. Da fließen die bluesigen Gospelfiguren nur so aus dem Handgelenk, Bass und Schlagzeug erweisen sich als engagierte, motivierte, findige Begleiter. „Please Donʼt Talk About Me When Iʼm Gone“ bittet der Pianist, aber die, die gekommen sind, werden ihm diesen Gefallen kaum tun. 17 begeisterte Jazz- und Livemusik-Liebhaber, die klatschen, als wären 100 Leute gekommen – natürlich wegen Johnny OʼNeal, Alessi Piero und Mark Lewandowski. Aber irgendwie beschleicht einen trotzdem der Eindruck, als hätte heute jeder hier spielen können. Hauptsache es spielt überhaupt noch jemand im Neuburger Birdland, in Zeiten wie diesen!