Johnny Griffin – Till Brönner Quintet | 03.11.1995

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Was treibt einen 24jährigen Newcomer dazu, sich von Beginn nur mit der absoluten Spitze anstatt mit seinesgleichen zu messen? Ray Brown, Jeff Hamilton, Annette Lowman – der Trompeter Till Brönner will durch den Kontakt mit solchen Stars ganz offenkundig partizipieren, um selbst die Karriereleiter im Sauseschritt durcheilen zu können. Seinen aktuellsten Wegbegleiter brachte der hochtalentierte Kölner zum Auftakt seiner Herbsttour mit in den Neuburger Birdland-Jazzkeller: Johnny Griffin, der wichtigste Hardbop-Saxophonist der Gegenwart nach Sonny Rollins.

Größer könnten die Gegensätze wohl kaum sein: hier der Wunderknabe aus Deutschland, der wie kein Zweiter den Sinneswandel weg vom blutleeren, technisierten Lärmbrei personifiziert, dort die 67jährige Legende aus Chicago. Doch Griffin, dieser Hohepriester des Tenors, ist sich normalerweise für den Job eines Steigbügelhalters zu schade. Er sucht kongeniale Partner und scheint diese in Brönner und dessen rheinischer Begleitcombo tatsächlich gefunden zu haben. Das Treffen der Jazz-Generationen jedenfalls geriet nur einen Tag vor deren Sensationserfolg bei den Berliner Jazztagen auch in Neuburg zu einem absoluten Höhepunkt – dem vielleicht sogar besten Birdland-Konzert des Jahres 1995.

Diese flirrende Spannung, diese ungekünstelte Spielfreude, dieser extrem hohe musikalische Level, mit welchem die fünf Musiker von der ersten Note an den für gemeinhin als populär verschrienen Hardbop ins Kellergewölbe schickten, hält getrost Vergleichen mit allen Vorbildern stand. Daß die Songs während jenes stimmungsvollens Abends samt und sonders zu überaus reizvollen Kleinoden gerieten, war freilich beileibe nicht alleine das Verdienst Johnny Griffins. Schon bei der fulminanten Auftaktnummer, Ray Browns „Dejection Blues“, wurde schnell klar, daß die Verantwortung zu gleichen Teilen auf zehn Schultern liegt.

Extraklasse schon der Pianist Herbert Nuß mit reizvollen „Colours“ und sparsamen Chorussen, die im aufregenden Kontrast zu dem enorm swingenden Drive des holländischen Schlagzeugers Hans Dekker standen (sein Solo in „My Secret Love“ mit einem federnden Schwerpunkt auf der Tom-tom und der Snare stellte eine Lehrstunde in Sachen moderner Groove-Intuition dar). Dazwischen ruhte als solider Anker des Quintetts der superb intonierende Bassist Ingmar Heller. Fürwahr eine Bilderbuch-Section, um die Griffin und Brönner auch jeder andere Bläser beneidet hätte.

Der amerikanische Grandsegnieur besaß seine stärksten Momente in der wunderbaren Ballade „When we were one“, als er mit segelndem, offenen Ton die ganzen Erfahrungen eines rauhen Jazzerlebens zu bündeln verstand, oder in den schwitzend-rauhen, spannend aufgebauten Soli im frech aufgepeppten „Manteca“, im flirrenden „Hot Sake“ oder in der grandiosen Zugabe „The Jamfs are coming“. Brönner – und dies war die eigentliche Überraschung – stand zu keiner Sekunde im Schatten seines großen Mentors. Trotz seiner relativen Jugend ritt er förmlich mit seinem variablen, technisch perfekten Trompetenton wie ein Cowboy auf den Melodiebögen, flüssig oder mit brennend-heißer Attacke.

Das größte Kompliment für die am Beginn einer Weltkarriere stehende Band machte denn auch Griffin nach Ende des zweistündigen, begeisternden Auftritts selbst: „These guys were swinging their asses off!“ Ein Satz, auf dessen wörtliche Übersetzung man vielleicht verzichten könnte, der aber aus dem Munde des überkritischen Hardbop-Meisters wie eine Freisprechung für die deutschen Jazz-Gesellen klingt.