John Scofield Trio | 12.11.2010

Augsburger Allgemeine | Reinhard Köchl
 

Wie bitte? Eigentlich war doch Jazz ausgemacht. Aber ein ungekrönter Improvisations-König wie John Scofield lässt sich im vierten Jahrzehnt seiner bewegten Karriere längst in keine stilistische Ecke mehr schieben. Das Publikum johlt, als würde Jon Bon Jovi die Bühne des Neuburger Stadttheaters entern, die elektrische Gibson schrammt, kratzt, dröhnt und springt im Zickzack durch den vorsintflutlichen Röhrenverstärker, als hätten Carlos Santana, Jimmy Page, Derek Trucks, John Lee Hooker und Wes Montgomery ihrem Bediener je einen Finger geschenkt. Bill Stewart, der sensibelste Feinmotoriker der aktuellen Drum-Generation, offenbart plötzlich seine animalische Seite und selbst Steve Swallow, diese Instanz am E-Bass, scheint seine Leidenschaft für hypnotische Hooklines entdeckt zu haben.

Doch was wie ein brachiales Klanggewitter beginnt, ist in Wirklichkeit bloß eine Facette dessen, was heute unter Jazz, Swing oder improvisierter Musik firmiert. Ein Teil eines Vokabulars, das sich der 58-jährige Übergitarrist aus Dayton/Ohio selbst auf den Leib geschrieben hat. Eine Metapher für „Alles geht“. Genau deshalb pilgern Menschen aus ganz Deutschland zu ihm. Echte Jazzfans, aber auch junges Publikum. Sie wissen: Einem wie „Sco“ marschierte die behäbige Jazz-Karawane schon seit seinen Lehrjahren bei Miles Davis entschieden zu langsam voran. Seither füttert er seine Musik permanent mit neuen Impulsen und tut damit weit mehr für ihr Überleben als mancher unverbesserliche Traditionalist.

Das seismographisch aufeinander abgestimmte Trio mit Stewart und Swallow gehört zu seinen liebsten Spielwiesen. Hier nimmt sich der Saiten-Grande jede gestalterische und ideologische Freiheit. Auf einen Cole-Porter-Standard lässt er „Just A Girl I Used To Know“ folgen, eine fragile Country-Nummer, die Scofield mit einem Gedicht einleitet. Der „Trio Blues“ serviert hinreißendes Interplay im Höchsttempo und solistische Filetstücke gut in Adrenalin abgehangen. Selbst wenn ihm beim psychedelischen „Pretty Out“ ein wenig die Sampling-Gäule durchgehen, so versöhnen das groovig-rockige „Chicken Dog“ aus der Medeski Martin & Wood-Phase, ein beseeltes „Someone To Watch Over Me“ und das sonnendurchflutete „Lawns“ von Carla Bley in jeder Hinsicht. Die wunderbare Ästhetik des Kontrastes: Hören, sehen und fühlen. Etwas, mit dem man selbst ein „tiny little theater“ (O-Ton Scofield) wie das in Neuburg zu einem Tollhaus verwandeln kann.