John Scofield Trio | 01.09.2000

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Von John Scofield hieß es kürzlich, er habe mit seiner aktuellen CD „Bump“ den Jazz verraten. Derlei Verdachtsmomente tauchen immer dann auf, wenn ein Protagonist des Genres neugierig dessen enge Grenzen überschreitet. Dabei ahnen die aufheulenden Sittenwächter sehr wohl, dass das Opfer ihres Liebesentzuges sich gerade anschickt, sie notgedrungen mitten auf der Standspur zu überholen.

Einem wie „Sco“ marschiert die behäbige Jazz-Karavane nämlich entschieden zu langsam voran. Der 48-jährige Gitarrist aus Ohio füttert seine Musik permanent mit jungen Impulsen und tut damit weit mehr für ihr Überleben als mancher unverbesserliche Traditionalist. Die mit Spannung erwartete Saisoneröffnung im Neuburger „Birdland“-Jazzclub jedenfalls lieferte den aus ganz Bayern angereisten Fans im restlos ausverkauften Keller abermals einen schlagenden, wenn auch völlig überraschenden Beweis, dass sich zeitgemäße Innovation vor allem in Richtung anspruchsvolle Populärmusik bewegen muss, um auf Dauer wirklich ernst genommen zu werden.

Er zischt und scratcht, läuft im Zickzack und springt im Dreieck, poppt, zuckt und rumpelt, während sein „Dreamtrio“ mit der E-Bass-Legende Steve Swallow sowie dem Superdrummer Bill Stewart das kecke Treiben lustvoll-virtuos untermauert. Scofields mehr denn je am Sound des Tenorsax angelehntes High-Energy-Spiel fräst sich mit der mentalen Kraft eines Hurrikans durch sämtliche Stuhlreihen. Und dabei dreht der renommierteste Gitarrist neben Pat Metheny nicht einmal am Lautstärkeregler. Seine Power nährt sich einzig von der Fähigkeit, das Idiom des Bebop wie kein Zweiter mit der Seele des Blues und dem Puls von Funk und Rock`n` Roll zu verschmelzen.

Aber ist das dann noch „richtiger“ Jazz? John Scofield bewegt sich zweifelsohne nicht mehr in den Arealen früherer Tage. Von den massiven Steinbauten ist er nun in ein luftiges Zelt gewechselt. Dort nimmt sich der Saiten-Grande die gestalterische und ideologische Freiheit, Zitate aus „So What“, der Hymne seines Ziehvaters Miles Davis, in einen schrulligen Gumbo-Shuffle mit dem lässig dahingeworfenen Titel „Whatever“ zu verwandeln. Ein elektrisierendes Ding wie „Three Chicken Dog“ mit treibendem Beat dagegen jagt selbst gestandenen Jazz-Puristen wohlige Groove-Schauer über den breiten Rücken.

Wer nun glaubt, den unscheinbaren Superstar möglicherweise als Jazz-Hendrix in die Arme schließen zu können, den reißt das stimmungsvolle, countryangehauchte „Mary Tyler More On“ auf der akustischen (!) Gitarre jäh aus allen Träumen. „Sco“ lässt den Noten dabei allen Raum zum Atmen, reduziert sich ganz auf die wunderschöne Melodie und spinnt diese intuitiv zu einem bunten Geflecht aus Stilblüten. Nicht als wuchtiges Solo (ein Wort, das einem in diesem Zusammenhang fast merkwürdig vorkommen muß), sondern als subtil verästelter Teil eines faszinierenden Ganzen.

Diese Attitüde ist tatsächlich neu im Jazz. Scofields Peformance kommt immer spontan, improvisiert, eignet sich aber gleichwohl zum Hören, wie zum Tanzen. Themen – egal ob der Uralt-Jazzstandard „Just In Time“ oder Paul Simons Pop-Ballade „Scarborough Fair“ – fungieren dabei allenfalls als Vehikel für eine durchschlagende Botschaft: Öffnet die Musik und befreit sie endlich von ihren überkommenen, hemmenden Vorurteilen.

Der Klangrevoluzzer und seine kongenialen Partner (Swallow: überwältigend als wuchtiges Metrum wie auch als tiefer gestimmter Gitarrist; Stewart: scheint alle Rhythmen in allen Differenzierungen zu kennen) zelebrieren eine im „Birdland“ bislang gänzlich fremde Konzert-Party. John Scofields einziger Deutschland-Gig in dieser exklusiven Besetzung wird wohl beim Publikum als richtungsweisende Erkenntnis in den Köpfen hängenbleiben Nicht zuletzt auch, weil es sich schlicht um den besten Jahresopener seit Bestehen des Jazzkellers unter der Hofapotheke handelte