Conte Candoli Quartet | 26.05.2000

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Westcoast ist, wenn es trotzdem swingt – auch nach mehr als 50 Jahren, gerade in diesem kleinen Kellergewölbe irgendwo im Süden Deutschlands. Die Frage, ob jene Melange des Cooljazz mit der Kansas-City-Traditon und dem Bebop überhaupt noch zu den zeitgemäßen Musikformen zählt, stellt sich dabei nicht. Gleiches könnte man nämlich auch immer wieder von der Daseinsberechtigung des Jazz ins Felde führen, und käme schlussendlich doch nie auf einen plausiblen Nenner.

Die wenigen noch lebenden Gallionsfiguren einer Stilrichtung sind es, die das Genre am Leben erhalten, vor allem, wenn sie, wie der Trompeter Secondo „Conte“ Candoli beim Saisonfinale des Neuburger „Birdland“-Jazzclubs, kaum etwas von ihrer früheren instrumentalen Brillanz eingebüßt haben. Der mundfertige Sohn italienischer Einwanderer aus Indiana ist inzwischen auch schon 73. Ein graumelierter Gentleman im edlen Zwirn mit Mutterwitz und Grandezza, eine Mutation aus effektheischendem Hotblower und feingeistigem Konstrukteur berückender Notenfolgen, der sich seit vielen Jahren selbst konserviert, so gut es eben geht.

Die meisten seiner Einsätze klingen, als säße er noch mitten im Bläsersatz der Bigband von Stan Kenton. Schließlich weiß Candoli nur zu genau, welche Faktoren ihn damals zu einem der führenden Leadtrompeter an der Westküste emporhievten: die geschliffene Phrasierung, der geschmeidig-warme Sound, die kontrollierte, souveräne Tongebung. All dies auch im Jahr 2000 zu jeder kostbaren Bühnensekunde beliebig abrufen zu können, wie bei einer Software, gehört zu den vordringlichsten Tugenden des Amerikaners.

„What Is This Thing Called Love“ speicherte er hinsichtlich Tempo und der melodischer Ausrichtung eindeutig in der Version der „Lighthouse Allstars“, bei „Tin Tin Deo“ stand ganz offenbar die Bearbeitung seines Freundes, des Orchesterleiters Terry Gibbs Pate, und die herrliche Ballade „Loverman“ nahm er einst in exakt der gleichen Eindringlichkeit mit dem Bassisten Red Mitchell auf. Conte Candoli – das ist der rundum perfekte, erneuerbare Trompetensound. Kurzweilig, anspruchsvoll, eine Lehrbeispiel für gelungene Improvisation und den makellosen Aufbau eines Soli, jedem Jazz-Studenten eindringlich ans Herz gelegt. Oder wie man oft und mitunter auch ziemlich banal zu sagen pflegt: einfach alte Klasse.

Da liegt vielleicht aber auch der Hase im Pfeffer und der eigentliche Grund dafür, dass dieser begnadete Instrumentalist nie mehr, als das Lob glühender Insider zu spüren bekam. Sein abermals für eine CD aufgenommener Gig im Hofapothekenkeller mit dem flink-swingenden Pianisten Bernhard Pichl, dem manchmal überraschend trägen, dann wieder ungeheuer quirligen Bassisten Martin Zenker sowie dem feinen, verlässlichen Drummer Rick Hollander, offenbarte professionelle Gefälligkeit ohne den kleinsten Hauch eines innovatorischen Anspruchs.

Candoli bewegt sich in einem temporären Vakuum. Es stört ihn nicht, dass jüngere wie auch ältere Kollegen inzwischen den Jazz erweitert, aufgebläht, angestöpselt, verpoppt oder zerrappt haben, dass sich diese Musik pausenlos hinterfragt oder mit neuen Impulsen milleniumstauglich zu machen versucht. Er zieht sein Ding durch; liebenswert stur, sympathisch jeden Zeitgeist ignorierend, überzeugt davon, stets das Richtige zu tun, auch wenn andere stets das Gegenteil behaupten. Darin liegt das Besondere an Typen wie Conte Candoli. Ihre Haltung formt die Musik.