John Marshall Quintet, feat. Ferdinand Povel | 17.10.2003

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Es tut gut, endlich mal wieder richtigen Hardbop zu hören. Diese elektrisierende Melange aus den 60ern, das Beste aus Bebop, Blues, Funk und Soul. Eine voll auf Attacke ausgerichtete Trompete. Einen Musiker, der offenbar das ganze Repertoire des legendären „Blue Note“-Labels auswendig kennt, der Horace Silver, Art Blakey, Lee Morgan und Donald Byrd schätzt, und Platten wie „Sidewinder“ oder „Una Mas“ mit auf die einsame Insel nehmen würde.

Das bessere Leben live. Zumindest wenn man mit der Gegenwart manchmal nur schlecht zurecht kommt. Mit all den lärmenden Neutönern, den nervösen Klangrevolutionären, den Botschaftern, denen am mystischen Hauch mehr liegt als am Schall. Ein solcher ist John Marshall im Neuburger „Birdland“- Jazzclub ganz gewiss nicht. Der 51-jährige in Köln lebende Amerikaner hat sich mit Haut und Haaren den guten, alten Werten verschrieben. Er phrasiert seine Trompete direkt über die Kante, messerscharf, exakt, schnell, bindend, flüssig, er lässt das Flügelhorn segeln, in den Aufwind der Melodien hineintreiben.

All dies wäre normalerweise ein Riesenkompliment für John Marshall. Gleichzeitig liest es sich aber auch wie eine Beschreibung der Stilistik des großen Trompeters Kenny Dorham aus dem Jazzlexikon. Womit das Problem des Solisten der WDR-Big Band eingekreist wäre. Ein eigener Stil lässt sich nämlich bei aller Virtuosität, bei aller Dynamik kaum erkennen. Marshall nimmt Anleihen, verwendet ganze Zitate, wählt Lösungen, die sein Vorbild bereits vor 40 Jahren ersann. Für einen fulminanten Abend mag dies allemal reichen, für eine ganze Karriere ist dies entschieden zu wenig.

Einer aus seiner Band, der Tenorsaxofonist Ferdinand Povel, hält dankenswerterweise weniger von Blaupausen. Der holländische Haudegen hat sich seinen fließenden, robusten, fast majestätischen Ton aus der Hochzeit des europäischen Hardbop sowie diese unverkennbare dichte harmonische Substanz bis heute bewahrt. Im Stile eines Viertaktmotors, der keinen Kaltstart verträgt, aber bei behutsamer Beschleunigung immer schneller, immer heißer läuft, erhebt der 56-Jährige Titel wie „Houston Street Beat“ oder „Extemporaneous“ zu kleinen Ereignissen, die aus dem Rahmen fallen.

Doug Sides, der elegante wie lautstarke Drummer, passt wiederum mit seinem punktgenauen und temperamentvollen Spiel perfekt in die musikalische Retro-Inszenierung. Auch der niederländische Piano-Pionier Frans Elsen dient lieber in der guten Tradition verlässlicher Sidemen, anstatt selbst die Akzente zu setzen, ebenso solide, routiniert und unauffällig seinen Job erledigend, wie Paulo Cardoso, ein Stammgast am Kontrabass.

Eines fällt jedenfalls auf: Immer dann, wenn im Hofapothekenkeller ein gewisser Geräuschpegel Platz greift, wenn einige im Publikum lieber ratschen anstatt zu lauschen, dann ist das Indiz genug, dass irgend etwas nicht passt. So auch diesmal. Ein wirklich untadeliges, ein handwerklich sauberes Konzert. Aber: Der Funke zündet ohne Reibung nicht.