John Marshall Quintet, feat. Ferdinand Povel | 17.10.2003

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Einmal mehr als Gäste einer Zeitreise wähnten sich die Besucher des Birdland Jazzclub. Das John Marshall Quintet versetzte den Neuburger Jazzkeller kurzerhand um 50 Jahre zurück in die Glanzzeit von Bossa, Bop und Big Band Sound. Dabei gelang es jedoch nicht immer, den Spannungsbogen bis ins hier und heute zurückzuschlagen.

Gepflegter soignierter Mainstream-Jazz zwischen Swing, Bebop und Bossa Nova, der ohne Hektik durch den Keller federt mit behendem Elan und unverkopftem Spielfluss im guten alten Thema-Solo-Thema-Schema, ist das heutzutage schon traditionalismusverdächtig? Bei John Marshall so wenig wie bei jedem Anderen, der Jazz zuallererst als Ausdruck der eigenen musikalischen Persönlichkeit versteht. Wer also die dizzy atmosphere liebt, kochende Becken und harte drops vom Schlagzeug (Doug Sides), vorwärtsdrängende knackig pulsierende Bassläufe (Paulo Cardoso), glasklare Akkordarbeit und kunstvoll verflochtene Fingerspiele am Piano (Frans Elsen), vor allem aber eine spielfreudig solierende Frontline, der war am Freitag Abend prinzipiell richtig im Birdland, dem „schönsten Jazzclub in Deutschland“, wie der aus New York stammende John Marshall vermerkte.

Dessen Trompete sprudelt nur so in virtuos gesetzten Highspeed-Linien und druckvoller Attacke in der Nachfolge Dizzy Gillespies und Kenny Dorhams. Dessen „Short Story“ und der Standard „Why was I born?“ bewegen sich in entsprechend munterem Uptempo voran. Marshall ist auf der anderen Seite durchaus fähig zu weichem Melodiefluss beim eher gefühlsbetonten „Dreamin on the Hudson River“, zu verhaltener Glut in Kenny Dorhams „Una mas“, dann wieder zu funky agierendem Vorwärtsgang in „Houston St. Beat“ oder Lee Morgans Hardbop-Klassiker „Extemporaneous“. Einen komplementär ergänzenden Kontrast zur Trompete setzt Ferdinand Povel auf dem Tonorsaxophon mit sanft angesetzten weiträumigen Schwüngen, süffigem Sound und luftig langem Atem in flüssiger Bewegung über alle Ecken und Kanten hinweg.

„Is that soul?“ Gut und schön! Nur kommt das Quintet über die handwerklich makellose Wiedergabe von bereits Gegebenem kaum hinaus, bleibt Marshall während des ganzen Gigs erkennbar nervös und fahrig, springt der Funke trotz etlicher mitwippender Füße nicht so richtig über. So chauffierte die Zeitreise die Teilnehmer im Panoramabus zu einem zweifelsohne unterhaltsamen musikalischen Sightseeing. Das Ziel jedoch verblieb letztlich in einer merkwürdigen musealen Unnahbarkeit.