Museales aus dem Museum Mobile? Wer so denkt, der hat schon verloren. Keinem der vier Herren, die sich da zum Auftakt des „Birdland-Oktober Specials“ im Ingolstädter Audi-Forum um zwei Flügel gruppieren, käme es in den Sinn, das Rad der Musikgeschichte zurückzudrehen.
Chris Hopkins, Rossano Sportiello, Bernd Lhotzky und dem wunderbaren Dick Hyman geht es mit ihrem „Stride Piano Summit“ in erster Linie darum, einen völlig zu Unrecht isolierten Begriff zu rehabilitieren. Denn Stride steht, genau genommen, für die elementare Lebensader des Jazz. Für den Ragtime, aus dem die Pianisten Fats Waller, James P. Johnson, Luckey Roberts und Willie „The Lion“ Smith eine für nachfolgende Generationen von Jazzmusikern gültige Sprache formten.
Deshalb huldigt die Quadriga in unterschiedlichsten Besetzungen behutsam ihren Vorbildern, ohne sie nur seelenlos abzukupfern. Der in Bochum lebende Hopkins, der Münchner Lhotzky, der Italiener Sportiello und der Amerikaner Hyman zeigen Facetten, Entwicklungen und die reiche Möglichkeiten des Stride auch in der Gegenwart auf. Dass ihr kühner Gipfel dabei weniger zu einer selbstverliebten Nabelschau gerät, sondern als Entertainment auf hohen Niveau daher kommt, ist das eigentliche Verdienst dieses ungewöhnlichen Konzertes.
Schon das einleitende Duett zwischen Hopkins und Sportiello stellt unter Beweis, dass sich das gemeinsame Tun längst über das Klischee komischer Verfolgungsjagden zwischen Stan und Olly hinweg gesetzt hat. Weniger das Tempo wird zum erklärten Hauptziel (obwohl dies manchmal atemberaubende Züge annimmt), sondern vielmehr die Exaktheit. Jede Note zählt, jedes Quäntchen Anschlagsdichte. Nur ja nicht schlampig oder gar oberflächlich durch die Themen huschen.
Hyman und Lhotzky exerzieren diese besondere Art der Disziplin bei ihren Zwiegesprächen mustergültig vor: Ein Fest der Sinne und der Techniker; edel, stimmig, süffig, schwelgend. Beide tupfen ihre Tastatur, vollführen mächtige Sprünge mit der linken Hand im Bassbereich und setzen mit der Rechten stark synkopierte, aus Terzen und Quarten gebaute Figuren dagegen. Der 73-jährige Hyman, einer der wichtigsten noch lebenden Jazzpianisten, liefert nach der Pause im Alleingang mit zeitlos uneitler Klasse wirklich große, leise Kunst. Ein Bogen voller überraschender Wendungen steckt in „S´ Wonderful“, „The Man I love“ bewegt sich tastend, fragend, ahnend, intuitiv vorwärts. Hyman wechselt ständig die Tonart, zieht an, bremst, rationiert sein Notenkontingent, um wenig später wieder ein ganzes Füllhorn davon auszuschütten.
Im wunderschönen „Summertime“ lässt er Rhythmen kreuzen und wechselt wieselflink die Tonarten, „Sweet Survivor Sue“ empfindet der Gentleman den Pianorollen der 20er Jahre nach, schafft es, mit kreativer Motorik exakt die gleiche Geschwindigkeit vom Anfang bis zum Ende durchzuhalten. In den beiden Zugaben drücken endlich alle 40 Finger gleichzeitig die zwei mal 88 Tasten. Es entwickelt sich eine Art Rundlauf, ein lausbübisches Stühlerutschen, ein Über- und Untereinandergreifen, eine Kissenschlacht mit Taktstrichen und Notenschlüsseln. Der launige Höhepunkt des mit Abstand besten Jazzkonzertes im Audi-Forum mit einem Publikum das zum ersten Mal richtig ausflippt, pfeift, johlt und klatscht. Für einen Ladenhüter wirklich nicht schlecht.