John Marshall Quartet | 29.05.2021

Donaukurier | Karl Leitner
 

Kein Wunder, dass der amerikanische Trompeter John Marshall sich mit Hardbop beschäftigt. Wer Teil solch legendärer Big Bands wie der von Buddy Rich, Lionel Hampton, Mel Lewis und Dizzy Gillespie war, kann nun mal nicht anders. Mit seinem aktuellen Quartett um den Pianisten Claus Raible, den Kontrabassisten Martin Zenker und dem Schlagzeuger Xaver Hellmeier bläst er beim Konzert im Neuburger Birdland zum bedingungslosen Angriff.

Bereits die erste Nummer, der Klassiker „Lover“ von Richard Rogers, kommt in atemberaubendem Tempo daher, wie ein Orkan quasi. Und der ebbt den ganzen Abend über nur bei den wenigen langsameren Stücken etwas ab, wenn Marshall sich sogar in der Rolle des Sängers übt, der dem Publikum mit warmer und leicht „belegter“ Stimme bei dieser Gelegenheit wieder mal ins Gedächtnis ruft, dass Jazzballaden ja nicht nur oft wunderbare Melodien, sondern im Original meist auch Texte haben. Von Thelonious Monk, John Lewis und immer wieder von Dizzy Gillespie stammen die zeitlosen Kompositionen, derer sich die Band bedient und damit für einen eindrücklichen Nachhall sorgt. Mit Philip Braham’s „Limehouse Blues“ und Lee Morgan’s „Sidewinder“ legt sie sogar noch eine Schippe drauf. Was sie hier bietet, übertrifft sogar noch den Rest.

Das Quartett steht für Authentizität, aber eben auch für Innovation. Die zeigt sich immer dann, wenn sich Freiräume auftun. Den weidlich zu nutzen, ist vor allem die Aufgabe Raibles und Marshalls. Ersterer entpuppt sich ja derzeit als sozusagen als Lockdown-Spezialist. Nicht selten war und ist er zufälligerweise einer der letzten Konzertanten vor der Schließung und einer der ersten nach der Öffnung einschlägiger Jazzclubs. Hier, zusammen mit Marshall, ist er absolut in seinem Element. In der für ihn typischen lässigen Art schleudert er seine Läufe geradezu in die Tastatur, rührt genüsslich in ihr herum oder lässt seine rechte Hand erst mal über ihr kreisen, ehe er dann aus der Luft wie ein Adler zuschlägt. Was er spielt, ist sensationell, und ihm dabei zuzusehen, ist die pure Lust.

Marshall, dessen Phrasierung durchaus etwas mit der eines Clifford Brown zu tun hat, spielt äußerst reizvolle Hardbop-Girlanden und Tonketten, die wegen ihrer absoluten Klarheit überzeugen, bei deren gedanklicher Nachverfolgung man als Zuhörer aber durchaus immer wieder ins Schleudern kommt, was bei dem Höllentempo, das die Band immer wieder vorlegt, aber auch nicht verwundert. Dass diese zeitweilige Tour de Force nur funktionieren kann, wenn man wie in diesem Falle zwei exzellente Kollegen in der Rhythmusgruppe hinter sich weiß, ist offensichtlich.

Ja, im Grunde spielt diese Band tatsächlich nur ein gutes Dutzend Stücke, die seit den Sechziger Jahren fester Bestandteil der Jazzliteratur sind, Stücke wie „Night In Tunisia“ oder „Straight No Chaser“ etwa. Das tun viele andere auch. Der Unterschied liegt darin, dass Marshall die Räume, die sich ihm dadurch bieten, ganz und gar mit seiner eigenen Ausdrucksweise füllt. Das macht ihn bei aller Authentizität im Grunde unvergleichlich.