John Abercrombie – Rudy Linka Quartet | 25.10.2003

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Der eine steht relativ angriffslustig auf der Bühne, der andere verschanzt sich sitzend hinter einem Wall von aufgeklappten Notenblättern. Schwer zu verstehen und noch schwerer zu fotografieren. Denn eigentlich bräuchte John Abercrombie überhaupt keinen Wegweiser durch ein Konzert. Der Mann ist überall, wo er seine Gibson umschnallt, selbst der Weg.

Normalerweise. Wenn der Trendsetter in Sachen Jazzgitarre aber einen wie Rudy Linka an seiner Seite hat, dann gilt es auf der Hut zu sein. Nicht etwa weil ihm der 43-jährige Tscheche in der Gunst des Publikums den Rang ablaufen könnte; über solche Eitelkeiten ist der leise Superstar längst hinaus. Vielmehr will er beim öffentlichen Dialog der Saiten im Neuburger „Birdland“-Jazzclub allen Schritten, Richtungswechseln, Sprüngen, Gedanken, Fragen folgen und bei Bedarf immer die passende Antwort geben. Denn sein früherer Schüler hat sich längst zum gleichwertigen Partner gemausert, besticht mit sublimer, farbenreicher Stilistik. In der Art, wie er logisch und zielstrebig seine Themen entwickelt, gleicht Linka frappierend den großen amerikanischen Gitarren-Heroes Jim Hall, John Scofield. Und eben John Abercrombie.

Ein Duell ist der „Gitarren-Gipfel“ im Rahmen des „Oktober-Specials“ 2003 dennoch zu keiner Sekunde. Eher ein chemischer Prozess, eine pausenlose Metamorphose. Linka liebt die Kontraste, reibt sich an ihnen, erzeugt erst ein Glimmen, dann ein Zischen, das sich schließlich in lodernden Flammen endet. Das Kantholz für seinen Feuerstein bildet das unglaublich homogene, farbenreiche Spiel des Freundes, der sich auch bei seinem fünften „Birdland“-Gastspiel so wandlungsfähig wie ein Chamäleon gibt – und doch immer er selbst bleibt: ein grüblerischer Impressionist, einer der größten Gitarren-Lyriker des Jazz mit einer unstillbaren Leidenschaft für Blues und Rock.

Beide hangeln sich in spritzigen Riff- Nummern à la „Now we dance“ wie zwei Extremkletterer durch eine steile Wand oder konstruieren aus dem Rohstoff von Sam Rivers` „Beatrice“ aberwitzige Improvisationstürme. Manchmal lässt Linka einfach ein paar Schneeflocken aus seiner Gitarre mitten in Abercrombies Wüste fallen („Golden Earrings“), während die sensitive Rhythmussection um den warm tönenden Bassisten Dan Fabricatore und den dosiert groovenden Drummer Russ Meissner ein dichtes Wolkenfeld in diese Großwetterlage schiebt.

Es regnet einige wunderbar verhangene Country-Balladen auf ein reifes Kornfeld, das irgendwo im Süden liegen könnte, gefolgt von kräftigen Entladungen, Blitz, Hagel sowie einem Regenbogen mitten in der untergehenden Abendsonne. Welches Register dabei der eine und welches der andere zieht, lässt sich nach der Pause vom bloßen Ohrenschein nicht mehr unterscheiden. Beider Sound ist längst ineinander aufgegangen, trägt, ergänzt, befruchtet multipliziert sich. Diese besondere Art der Assimilierung beherrschen nur Weltklassegitarristen wie John Abercrombie und Rudy Linka. Zwölf Saiten, vier Hände, ein Gedanke münden in einer extralangen Zugabe für das geduldige, dankbare Publikum.