John Abercrombie Group | 17.09.1999

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Kantig, erdig, ganz im Hier und Jetzt verankert und doch weit über den Moment hinausweisend: Das Konzert der John Abercrombie Group am Freitag Abend im Birdland Jazzclub bot Musik von jenseits des Horizonts.

Manchmal hat man Teil an bleibenden Momenten. Das ist es, was wahrscheinlich den Reiz des Jazz ausmacht: Ganz im Heute, in der Improvisation, aus dem „Bauch“ kommend, entstehen akustische Visionen, die bleibende Gültigkeit haben. John Abercrombie ist jemand, der die kreative Energie für solche Augenblicke besitzt. Die ganze Tradition wird aufgenommen und gleichzeitig für das Heute überformt. Alle Strukturen brechen auf, wagen sich in Neuland vor und kehren geläutert zurück: Jazz auf den Spuren Kandiskys und C.G. Jungs, archetypisch und ursprünglich, wellenförmig die Weite suchend und dann wieder hineinfindend in die Gegenwart. Abercrombie legt Zeitspuren in die Luft, Linien, die alle nur erdenklichen Grenzen ausloten, das versunkene Atlantis in Sirenenklängen wiederauferstehen lassen in all seiner Pracht, introvertiert und gleichzeitig in dem Bewußtsein, daß das Universum in uns an Weite dem Universum um uns in nichts nachsteht. Und dann kracht es plötzlich und brodelt und zischt, funky und fetzend geht die Post ab auf dem Boden der Tatsachen, die nie entwertet, immer respektiert werden, ganz ohne irgendwelche esoterische Mätzchen, immer ehrlich, immer klar.

Abercrombie hat mal Jazz studiert an der Berklee School in Boston und er könnte einer jener glatten Nadelstreifensaubermänner geworden sein, die die Szene bevölkern mit Pathos und kluger Vermarktung ihrer eigenen Person. Ist er aber nicht: Er holt sich eine Band zusammen, die mit ungeheurer schöpferischer Energie einen Konzertabend herbeizaubern kann, der seinesgleichen sucht: Und einer seiner Titel kann wirklich als Thema gelten: decending grace.

Dan Wall spielt die Hammond B 3 ganz bewußt introspektiv und verhalten, daß sie erst so ihre verborgenen Schätze freigibt. Mark Feldmans kongeniale Violine bewegt sich in spannenden Dialogen mit Abercrombies Gitarre immer auf der Demarkationslinie zwischen innen und außen, zwischen objektiver Form und subjektiver Gültigkeit – oder war es umgekehrt? Jedenfalls schneidet auch sie jede aufkeimende bierige Seligkeit mitten durch. Adam Nussbaum an den Drums hält zusammen, was zusammen gehört, mit überraschenden Licks, mit Phantasie und Humor legt er einen Teppich rhythmischer Strukturen, der den Boden bietet für die offenporigen Soundflächen der Band. Da holt eine knackig aufmischende snare-drum den Zuhörer auch mal in die Wirklichkeit zurück, wenn er abzuheben droht in zu schöne Welten, lädt ihn ein, die Lust am Augenblick zu genießen. Es groovt, reißt mit, begeistert und macht Freude.