Jazzposaunisten haben`s in Deutschland mächtig schwer, vor allem weil sie bei jeder Gelegenheit gegen den übermächtigen Schatten eines Albert Mangelsdorff ankämpfen müssen. Mithin ein Grund für den eklatanten Nachwuchsmangel, aber beileibe nicht der einzige. Denn Saxophon, Gitarre oder Trompete gelten heute mehr denn je als die Statussymbole der Populärmusik, während der „lange Knochen“ („long bone“, in der Jazzersprache abgeleitet aus „trombone“) zunehmend als Relikt der Vergangenheit verblaßt.
Unter solchen Gesichtspunkten bedarf es schon einer Menge Mut, die Rolle der Posaune neu definieren zu wollen, wie dies seit geraumer Zeit der Wahlmünchner Johannes Herrlich versucht. Für ihn, der jetzt im Neuburger „Birdland“ Jazzclub seine Debüt-CD „Thinking Of You“ vorstellte, bleibt immer noch ganz einfach viel zu viel bei der Beurteilung seines Instrumentes auf der Strecke. Etwa die exklusive, wenn auch unaufdringliche Wirkung dieses originären „blauen“ Tons, dieses charakteristischen „platzenden“ Sounds, der immensen Bandbreite aus sanftem Gleiten und kraftvollem, muskulösen, ruppigen Röhren. Der 33jährige verfügt nach seinem Studium in Graz und Hilversum über das gesamte Spektrum und weiß es in einem aufregend modernen, gleichwohl ansteckend groovenden Kontext auch sinnvoll einzusetzen.
Innerhalb seines seit 1992 bestehenden Quintetts „Collage“, einer prächtig aufeinander abgestimmten Workingband voller erstklassiger Musiker, lotet Herrlich sämtliche Möglichkeiten aus, ohne gleich in egomanische Alleingänge zu verfallen. Denn der Schlüssel zur Re-Emanzipation der Posaune kann wohl nur in einem kompakten Gruppensound liegen, der ihre Vorzüge im richtigen Licht präsentiert, aber plattgetrampelte Pfade meidet, wie der Teufel das Weihwasser.
Wer allerdings hinter dem Namen „Collage“ buntschillernde avantgardistische Klanggemälde vermutet, der unterschätzt die starke Erdverbundenheit, mit welcher der Pianist Walter Lang, der Drummer Rick Hollander, der Bassist Thomas Stabenow und der Tenorsaxophonist Jason Seizer zu Werke gehen. Die Fünf reflektieren den Bebop aus der Sicht der 90er und formen dabei ein graziles Gebilde an schönen Melodien, die erst beim zweiten Versuch ins Ohr gehen, dann aber dort felsenfest verankert bleiben. Etwa die bluesige Improvisationsform „Strechting Out“ oder „Final Inspiration“, das sperrige Demonstrationsobjekt für swingenden Non-Konformismus.
Bei Herrlich läuft alles anders, als in einer x-beliebigen Mainstream-Combo. Die Bläser schlüpfen nicht automatisch in die Rolle der Hauptdarsteller, klassische Schemen werden zugunsten eines gemeinsamen Auftakts oder einer veränderten Reihenfolge der Soli aufgebrochen. Selbst Standarts wie „Polka Dots And Moon Beams“ und das hinreißende „Lament“ glänzen nach einer modalen Frischzellenkur in ungewohnten Farben.
Im Prinzip wirkt jedes Stück wie eine spannende Geschichte, gewissenhaft mit dem Gespür für dramatische Nuancen erzählt. Und das ist tatsächlich das große Plus von „Collage“. Denn welche deutsche Jazzformation darf heute schon für sich in Anspruch nehmen, ein Publikum wie das in Neuburg ohne den geringsten Anflug von Langweile zwei Stunden lang perfekt unterhalten zu können?