Johannes Enders New York Quartet | 23.04.1999

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Schon Mitte der 90er fiel Johannes Enders auf: 2,03 Meter groß, massige Erscheinung, fast wie das Stunt-Double von Obelix, und fortwährend den späten Coltrane rauf- und runterdudelnd. Als Talent galt er bereits damals, wenn auch als kaum entwicklungsfähiges, weil sich der Hüne mit dem Tenorsaxophon scheinbar ausweglos in die genialen Skalenfolgen seines großen Vorbildes verbissen hatte.

Dann wurde es still um den jungen Mann aus dem oberbayerischen Weilheim. Enders zog sich zurück, rührte zwei Jahre kein Horn mehr an, um den alten Stil ein für allemal aus dem Bewußtsein zu tilgen, und schaffte schließlich 1997 ein Comeback, wie es selbst kühnste Optimisten kaum für möglich gehalten hätten. Plötzlich hieß es, er sei einer der begabtesten Storyteller des Jazz, sein Saxophon klinge wie eine „Rakete mit Turbonachbrenner“.

Die märchenhafte, täglich fortgeschriebene Karrieregeschichte des Johannes Enders – selbst beim jüngsten Konzert im Neuburger „Birdland“ kam ein neues Kapitel dazu. Bei den wenigen Stammgästen, die den 31jährigen aus seinen früheren, meist zaghaften Konzerten kannten, muß die Verblüffung wohl groß gewesen sein. Enders heute: das ist ein selbstbewußter Künstler, der weiß, was er kann, sich mit den führenden Köpfen des Genres wie dem Altsaxophonisten Vincent Herring mißt, dabei mehr, als nur Achtungserfolge verbucht, und dessen Neuburg-Gig sogar vom Bayerischen Rundfunk eines Mitschnitts für würdig befunden wurde.

Klar, daß biederes Handwerk da völlig außen vor bleiben muß. Zwei kraftvoll, durchdacht und erregende phrasierende, gleichwohl unterschiedliche Bläser, die mit der gesamten harmonischen und rhythmischen Bandbreite ihrer Instrumente operieren, sowie eine bis in die Zehenspitzen motivierte Rhythmuscrew schenkten dem Publikum das Flair berühmter New Yorker Jazzclubs. Der Unterschied zwischen dem „Village Vanguard“ ist allenfalls geographischer, oder im Falle des nicht mehr existierenden „Birdlands“ in der 52. Straße temporärer Natur.

Eigens dafür hatte Johannes Enders nämlich einen „Time Tunnel“ gebastelt (komponiert), der wegen der dichten, souligen Pianoakkorde von Roberto di Gioia, dem marschierenden Funkybeat von Bassist Marc Abrams und Drummer Rock Hollander sowie den lavaheißen Licks von Enders und Herring frappierend an die große „Blue Note“-Ära erinnerte. Songperlen dieser Art gab es nahezu im Überfluß: „Timothy“, ein grauer, mitten aus dem Alltag heraus skizzierter Blues, der Beatles (!)-Hit „Norwegian Wood“, ein schillerndes, walzerndes Ding, an dem John Lennon sein helle Freude gehabt hätte, oder „The Athlet“, ein temporeicher Wettkampf für treffsicheres Schlagzeug, sprintendes Klavier, hüpfenden Baß und zwei muskulöse Saxophone.

„In A Sentimental Mood“, das Ständchen zu Duke Ellingtons 100. Geburtstag, machte freilich am prägnantesten die Wandlung des „Gentle Giants“ deutlich. Enders und die Ballade – irgendwann war das mal ein unbeschreibliches Drama ohne Aussicht auf Happyend, nun ist es eine beseelte Liaison, der man in jedem Ton anmerkt, wieviel Blut, Schweiß und Tränen für ihre Entstehung geflossen sind. Ein Tenorsax am obersten Limit: entspannt, offen, farbig, mutig. Und ein Musiker auf dem direkten Weg zum Weltstar.