Wenn es darum geht, sich vor Musikern zu verbeugen, die ihn maßgeblich beeinflusst haben, verfügt der Tenorsaxofonist Johannes Enders über Erfahrung. Zu Beginn seiner Kar-riere standen John Coltrane und Michael Brecker ganz oben auf seiner Liste, sobald er jedoch Gefahr lief, sich von ihnen zu sehr dominieren zu lassen, suchte er Abstand nach der Devise: Huldigungen sind schön und gut, aber bitte in eigener Sprache, mit eigenen Noten und vor allem eigener Note.
Die hat er längst gefunden, wie man beim Konzert im Birdland Jazzclub, das er zusammen mit seinem international besetzten Quartett aus dem Pianisten Jean-Paul Brodbeck aus Zürich, dem Kontrabassisten Joris Teepe aus Amsterdam und dem in Graz lebenden Schlagzeuger Howard Curtis aus Washington D.C. ablesen kann. Sein geradliniger Stil passt hervorragend zu dem erquicklichen Tiefgang, mit dem er sich wohltuend absetzt von all denen unter seinen Kollegen, für die vor allem Geschwindigkeit und Akrobatik im Vordergrund stehen. Was selbstredend überhaupt nichts aussagen soll über seine technische Brillanz. Über die verfügt er und die ist auch vonnöten, beschäftigt er sich doch mit seinem Album „Sweet Freedom – A Tribute To Sonny Rollins“ und auch in der ersten Halbzeit des Konzerts mit einem der ganz Großen, mit Sonny Rollins, mit dessen „Mostly Sonny“, mit „With A Little Help Of The Sun“ und dem aus der Verschmelzung zweier Standards – Harry Warren und Thelonious Monk lassen grüßen – neu entstandenen „There Will Always Be Another Mystery“.
Und weil das so überaus gut gelingt, die Hochachtung vor dem legendären Urahn spürbar aber gleichzeitig deutlich die eigene Note erkennbar ist, widmet sich die Band im späteren Verlauf mit „Black Nile“ auch noch dem kürzlich verstorbenen Wayne Shorter, an dessen Improvisationsstil der von Enders ab und zu erinnert, mit „The Creator Has A Plan B“ seines Tenor-Kollegen Pharoah Sanders, dessen Tod ebenfalls erst ein halbes Jahr zurück liegt, und schließlich mit „Sir Oliver“ des Pianisten Oliver Kent. Und bevor es in die vom Publikum heftig eingeforderte Zugabe geht, bringt er die noch nicht veröffentlichte Komposition „No War“, mit der er auf seine Art Stellung nimmt zu den aktuellen politischen Ereignissen.
Das ist der derzeitige Stand der Dinge bei Johannes Enders. Nachdem er sich an seinem selbst gewählten Platz im deutschen Jazz dermaßen wohlzufühlen scheint, kann es gut sein, dass er sich in Kombination mit seiner Lehrtätigkeit an der Hochschule für Musik und Theater in Leipzig darauf längerfristig häuslich niederlässt. Andererseits war der Mann immer hungrig nach Neuem. Frühe Kontakte zu den wie er im oberbayerischen Weilheim beheimateten „The Notwist“, Flirts mit dem Rocklager und dem Bereich des Electojazz und bei Bedarf das Entwerfen elektronischer Effekte und der Umstieg aufs Keyboard gehören nämlich ebenso zu seiner Biografie wie die Beschäftigung mit dem Modern Jazz an diesem Abend im Birdland. – Bei aller Verlässlichkeit, all der Glaubwürdigkeit und all der Souveränität, die den Abend kennzeichnen, bleibt es also immer spannend mit ihm. Womit ja ein wesentliches und generelles Kriterium des Jazz schon mal erfüllt wäre.