Jörg Hube – Jazz und Lesung | 20.04.2002

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Wenn Lesungen gut sind, dann erzeugen sie Bilder. Jörg Hube erzeugt ganze Spielfilmsequenzen, das kongeniale musikalische Triumvirat in seinem Rücken liefert den perfekten Soundtrack dazu, und plötzlich vollführt auch die Phantasie Galoppsprünge. Die Frau am Eingang des Neuburger „Birdland“-Jazzclubs: Sieht sie in ihrer Bomberjacke und den Pluderhosen nicht aus wie ein Flieger? Wie Antoine de Saint-Exupéry?
 
Eine gewagte, aber durchaus berechtigte Ableitung. Denn der Spross eines alten französischen Adelsgeschlechts, den die meisten als Autor des Bestsellers „Der kleine Prinz“ kennen und der an diesem Abend im ausverkauften Hofapothekenkeller den thematischen Leitfaden für das Premierenprojekt „Jazz & Lesung“ liefert, frönte in aller erster Linie der Fliegerei. Daher resultieren auch Exupérys meist unterbewertete Romane „Südkurier“, „Wind, Sand und Sterne“ und „Flug nach Arras“, aus denen Hube rezitiert und sich dabei von drei Jazzmusikern reinsten Wassers, nämlich dem Klarinettisten Stephan Holstein, dem Vibrafonisten Wolfgang Schlüter sowie dem Bassisten Thomas Stabenow nicht begleiten, sondern atmosphärisch führen lässt.

Exupéry und Jazz? Hube und Zuhörer im Flieger-Outfit? Irgendwie passt das, obwohl der bekannte Charakterdarsteller, Kabarettist und Regisseur anfangs nur liest und sich die entsprechende Stimmung erst langsam einstellen mag. Holstein hilft dabei, als er zwischen den Texten einen dunklen, kaum hörbaren Blues in sein schwarzes Horn haucht. Dieser Kunstgriff dimmt schlagartig das innere Licht und die Unruhe, das letzte Hüsteln verstummt, Jörg Hube darf zum „Nachtflug“ ansetzen.

Seine Stimme wirkt dämmrig, schwankt zwischen Hoffnung und Verzweiflung, wenn er den inneren Kampf von Riviere, dem Direktor der Postfluggesellschaft, beschreibt, der seine Piloten zu riskanten Flügen nach Buenos Aires mitten ins Auge des Hurrikans treibt. Eine halbe Stunde Treibstoff noch, kein Platz zum Landen, Ausweglosigkeit. Dahinter gleitet Schlüters schwereloses Vibrafon auf der Thermik von Hubes Worten.

Noch so eine dieser perfekten Symbiosen: Als der Schauspieler aus „Die Menschen“ liest und sich vor dem geistigen Auge polnische Flüchtlinge durch einen langen Zug drängen, entfährt Stabenow ein tiefer, langer Seufzer mit dem Bogen, der in eine zeitlupenartige Melodie mündet, tastend, wie eine durch die Erde spitzende Knospe. Das Trio wandelt die menschliche Träg- und Hilflosigkeit in eine warme, sonnendurchflutete Ballade um oder bedient sich einfach eines Kinderliedes, um die lang ersehnte Passage des „Kleinen Prinzen“ schlicht, aber genial auszuschmücken.

Hube wird immer besser, moduliert grandios seine Stimme, die in „Durst“ zwei in der libyschen Wüste Havarierte zu Wort kommen lässt, halluzinierend, langsam ausdörrend. Die Luft flimmert, als Schlüter seine nachvibrierenden, ostinaten Schläge platziert. Nach den Schilderungen der Schrecken des Krieges, die bei Saint-Exupéry immer im Zentrum allen Schreibens standen, donnert aus den Instrumenten ein infernalisches Freejazzgewitter, das sich schließlich selbst auslaugt und matt darniederliegend in „Softly as in a Morning Sunrise“ aufgeht. Die Band wird zum Erzähler und der Schauspieler zum Musiker. Solche Lesungen sollten Schule machen.