Joel Harrison Quartet „Free Country“ | 14.05.2004

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Eine alchimistisch anmutende Mixtur aus den widersprüchlichsten Ingredienzien braute sich zusammen im Keller unter der Hofapotheke: Joel Harrison war angetreten, den Countrysong zu befreien von Cowboy-stiefeliger Pseudoromantik und lagerfeuerndem Marlboro-Patriotismus. Dabei unterzog der Gitarrist auf der Suche nach dem „Free Country“ den amerikanischen Traum gemeinsam mit Dave Binney am Altsaxophon, Gray Versace an den Keyboards und Dan Weiss am Schlagzeug einer gründlichen Revision.

Ein sehr nachdenklicher US-Amerikaner steht auf der Bühne des Birdland, setzt sich mit dem tradierten Liedgut seiner Heimat auseinander in einer Radikalität, die so manchen Alpenrocker wie einen traditionalistischen Gralshüter erscheinen lässt. Da wird im Klassiker „This Land Is Your Land“ – Woody Guthries demokratischer Alternative zum pathetischen „God bless America“ – die ganze innere Zerrissenheit deutlich, die nicht erst seit dem 11. September 2001 God’s own country quält. Unter der glatten Oberfläche fernsehgerechter Skylines lauern Leid und Ungerechtigkeit, Armut und Gewalt, Kampf ums Überleben und Trauer um die Unterlegenen. Aus „Galveston“, einem metaphorischen Protestsong gegen den Vietnamkrieg aus den 60ern, schält das Quartett um den schlaksigen Gitarristen aus Washington D.C. jede Menge Dramatik, Härte und Bewusstsein für die brutale Realität des Krieges. Offensiv Rockiges, Punk-Inspiriertes, ostinat psychedelische Passagen, ausgedehnte Jazzsoli, romantische Melodiosität, filigrane Rhythmik und schwere Beats mischen sich zu einem eindringlichen Appell, endlich ernst zu machen mit der Realutopie von der gleichen Würde aller Menschen. Sehnsucht nach Erlösung im einst gelobten Land: „Will The Circle Be Unbroken?“ Was Jimi Hendrix vor 35 Jahren in Woodstock mit dem „Star Spangled Banner“ anstellte, als er es in seine Bestandteile förmlich zerriss, setzt Joel Harrison heute fort, indem er die Fetzen sucht, aufhebt und mit Hilfe seiner Freunde zusammenpuzzelt zu dem, was vielleicht doch noch werden könnte. „The Water Is Wide“ wird so zum ergreifenden Fanal der Hoffnung – nicht nur für Amerika.