Biréli Lagrène Organ Trio, feat. Jermaine Landsberger | 14.05.2004

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Eine gute Nachricht zuerst: Biréli Lagrène hat verloren. Kilos zuhauf. Er wirkt wesentlich fitter, leistungsfähiger, als bei seinem bislang letzten „Birdland“-Gastspiel im März 2001. Und sein sowieso schon sehniges, elegantes Gitarrenspiel passt sich dieser neuen Körperlichkeit nahtlos an: Nur das Nötigste, das Wesentliche, aber dies mit geradezu bewundernswerter Konsequenz.

Freilich nicht die einzige gute Nachricht an einem fast durchwegs hervorragenden Abend, der den Besuchern einmal mehr ins Bewusstein rief, wie sich Jazz erst in einer Atmosphäre wie der des Neuburger Hofapothekenkellers zu entfalten weis. Dabei präsentiert sich Jermaine Landsberger, dieser extrem gute wie schüchterne Pianist aus Regensburg, erstmals an der Hammond-Orgel. Dem Sinti-Musiker kommt hier natürlich sein lyrisch-perkussiver Bop-Stil zu pass: Der klobige, hölzerne Kasten schiebt mächtige Groove-Wellen vor der dreiköpfigen Band (mit dem Schlagzeuger Joachim Leyh) her, auf denen Lagrène nach Herzenslust wie ein Surfer reiten kann.

Und die dabei an den Tag gelegte Leichtigkeit fasziniert. Längst hat der Elsässer den Druck vergangener Jahre, die ganze Hysterie um das angebliche Wunderkind abgelegt, trachtet auch nicht mehr danach, um jeden Preis neue Techniken, andere, bislang ungespielte Grifffolgen erfinden zu müssen. Zwar ist er nach wie vor ein unglaublich fingerfertiger Derwisch, aber nie einer, der sich zum Billigen Jakob an der Klampfe degradiert. Das genetisch bedingte, unnachahmliche Gipsy-Feeling lässt den erwachsenen Biréli Lagrène heute jeden Seiltanz der Extreme absolut gefahrlos überstehen.

Im Programm finden sich auch keine klassischen Zigeunerweisen à la „Sweet Georgia Brown“ mehr, sondern ausschließlich moderner Stoff, Bluesadaptionen oder feurige Hardbop-Blitze. „Sunny“, das einsame Soul-Juwel aus der Feder von Bobby Hebb, gerät vollends zum Schaulaufen. Waren seine Soli bis dato noch behutsame, filigran gesetzte Konstruktionen, so lodern sie von nun an hell auf wie bengalische Feuer. Vom Griffbrett purzeln kaskadenhafte Arpeggios und Synkopierungen, blitzartige Akzentuierungen, mächtige Oktaven, virtuose Vibrato-Techniken. Und mit der Power der Orgel im Rücken erwächst Lagrène in Jermaine Landsberger plötzlich sogar ein nahezu ebenbürtiger Partner. Beide suchen sich und bugsieren einander in einem Wirbel voller Licks, Zitate und hinreißender Alleingänge unentwegt in andere Richtungen.

Zum Finale Furioso schließt sich dann doch noch der Kreis: „Nuages“, die Hymne auf Django Reinhardt, als dessen Nachfolger sie Biréli Lagrène schon im zarten Knabenalter von 16 Jahren ausriefen. Eine Bürde, an der er fast zerbrochen wäre. Heute, mit 37, spielt er die wunderschöne, schwermütige Ballade mit der Gelassenheit, es niemandem mehr beweisen zu müssen, und der Erfahrung zweier bewegter Karriere-Jahrzehnte: Erfrischend unmanieriert, schlicht anders. Ein Manifest der kreativen Reife.

Und schlussendlich doch noch eine schlechte Nachricht: Das Stelldichein mit einem der größten europäischen Gitarristen war gleichzeitig das letzte „Birdland“-Konzert vor der Sommerpause. Schön, wenn der Abschied schon wieder Lust aufs Wiedersehen macht.