Joe Haider | 20.04.2001

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Geschichten und nochmals Geschichten. „Damals hab ich mit den ganzen amerikanischen Weltstars gespielt. Nicht etwa, weil ich so gut gewesen wäre, sondern nur weil der Dollar dermaßen hoch stand, dass die Veranstalter sich keine anderen US-Begleiter leisten konnten.“ Manchmal ist Joe Haider selbst eine kurzweilige, selbstkritische Geschichte mit höchst gelungener Pointe. Ein Stück deutsche Jazzgeschichte. Oder schlicht ein Gedicht, vor allem, wenn er dermaßen gut gelaunt und voller ansteckendem Optimismus in die Tasten greift, wie jüngst im Neuburger „Birdland Jazzclub“.

Ein Konzert wie dieses hätte eigentlich eine andere Bezeichnung verdient: Swingende Lebensbeichte, improvisierte Biographie oder Erzählabend unter Freunden. Das passiert dem gerade erst 65 Jahre alt gewordenen Faktotum am Piano fast immer, wenn er nach Neuburg kommt. Dort nämlich werden all die Erinnerungen an jene Zeit wach, in der Jazz noch zum guten Ton gehörte und als Inbegriff der künstlerischen Freiheit galt. Haider stammt aus dieser Zeit; eine Ikone, die viel zu lange viel zu viel Staub angesetzt hatte, Deutschland frustriert den Rücken kehrte, in die Schweiz und dann nach Amerika auswanderte, eine lebensgefährliche Krankheit überstand und nun einfach wieder da ist.

Comeback wäre ebenfalls ein falsches Wort, denn eigentlich war der Haider mit dem Herzen nie wirklich weg. „Nur die Lust am Spielen,“ sagte er und deutet auf den griechischen Bassisten Giorgos Antoniou und Schlagzeuger Daniel Aebi aus dem Emmental, „haben diese beiden jungen Burschen geweckt. Sie haben dem alten Haider wieder Feuer unterm Arsch gemacht!“

Und wie das plötzlich brennt. Das generationenübergreifende Trio begibt sich gemeinsam auf die Suche nach dem, was Joe Haider im Laufe der Jahre zunehmend verlor, nämlich die Frische, die alte Lust, die Anmut und den Humor. Denn ungespielte Töne, das weiß der bärtige Kauz nur zu genau, gibt es noch jede Menge. Etwa im herrlich entschlackten Ron Carter-Arrangment von „All Of You“ mit diesem einprägsam stoisch tickenden Bass-Intro, dem bedrohlich anschwellenden „Bolero in D“, dem innerlichen „I`m Getting Sentimental Over Your“ oder dem wie ein Skalpell an der harten Oberfläche ritzenden „Body And Soul“.

Mit der reifen Sensibilität eines geläuterten Mannes konstruiert Haider wunderschöne Melodiebögen voller wiedererwachtem Optimismus. Weite, prankige, ausschweifende Akkorde, süffige, behände dahin fließende Läufe und sein zielsicher marschierender Swing beschreiben auch ohne Worte plastisch die Stationen eines bewegten Lebens. Wie das anfangs hinreißend komische und sich dann unglaublich spannend entwickelnde „Ein Sonntag in der Schweiz“, mit dem Haider dem Bauern Tschanz aus Obligon, bei dem er zur Untermiete wohnte, ein klingend-krachendes Denkmal setzte.

Ein großer Wurf, nicht bloß dieser Song, sondern der ganze Abend. Erfrischend modern, angenehm traditionsbewusst, die erstaunlich private Geburtstagsbilanz eines nach wie vor wichtigen deutschen Jazzmusikers. Lang lebe, spiele und vor allem erzähle Joe Haider!