Dieter Ilg „Fieldwork“ | 07.04.2001

Neuburger Rundschau | Dr. Tobias Böcker
 

Was hat das deutsche Volksliedgut mit Jazz zu tun? Darf, wer auch nur den Hauch von Geschichtsbewusstsein hat und wach ist für die soziale Wirklichkeit des globalisierten Jetzt, „Guten Abend, gute Nacht“ ernsthaft zu Gehör bringen vor erwachsenem Publikum, gar „Schlaf, Kindlein, schlaf“? Dieter Ilg Fieldwork gaben im Neuburger Birdland eine überzeugende Antwort auf die Frage nach der Aktualität der Romantik.

„Süßer die Glocken nie klingen“, schwerer Groove und leichtfüßiger Shuffle, Gitarre, Schlagzeug und Bass sorgen für ein faszinierendes Maß an Interaktion auf der Bühne. In der Ruhe liegt die Kraft und im Detail die Überraschung. Irgendwo im Niemandsland zwischen Romantik – „Guter Mond, du gehst so stille über’n Abendhimmel hin“ – und psychedelischer Anarchie – „Ich geh mit meiner Laterne“ – pendelt das Geschehen, ergründet, was geblieben ist von den behüteten Stunden der Schlafliedwohligkeit in unserer unbehausten Zeit; zuallermindest der spontane Spaß an musikalischen Geistesblitzen, rabimmel, rabammel, rabumm! Die Abschiedstournee eines der kreativsten und originellsten deutschen Jazztrios führt auch in Neuburg vor, was möglich ist, wenn man die gewohnten Bahnen des Great American Songbook verlässt und die Mittel der Improvisation an den vertrauten Melodien deutscher Herkunft reibt. Was sich da im Gewand wohlbekannt spätromantischer Sehnsucht ins Gemüt schleicht, hat durchaus das Zeug zum Wolf im Schafspelz, entlarvt mehr und mehr jede Traulichkeit, ent-täuscht mit leisen Tönen jede biedermeierliche Gemütlichkeit und entpuppt sich als die Fortsetzung der Romantik mit anderen Mitteln: nicht Lulle, sondern Aufbruch, nicht Sattheit, sondern Suche, nicht im Ohrensessel, sondern in wachem Horchen auf die Zeichen der Zeit, wie das ja seinerzeit auch gedacht war. Das Trio agiert in ständig fließendem wechselndem Dialog und völlig gleichberechtigter Kommunikation. Der feelsaitge Bassist Dieter Ilg outet alle Möglichkeiten der Emotionalität seines Instruments, Wolfgang Muthspiel (ein blöder Gag, aber: nomen est omen) artikuliert präzise und mit unversiegbarer Ideenvielfalt, setzt virtuos das Delay unter seine solistischen Exkurse, Steve Argüelles variiert die Rhythmen fast von Takt zu Takt, unermüdlich ziseliert, treibt, brodelt sein Schlagzeug: „So sei gegrüßt, du schöne Zeit“. Da wollt niemand hören „Lasst uns all nach Hause gehn“, erst nach diversen Zugaben entließ das begeisterte Publikum eine Band, die nicht nur in der deutschen Jazzlandschaft einen absolut singulären Stellenwert besitzt.