Dieter Ilg „fieldwork“ | 07.04.2001

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Als vor gut vier Jahren eines der ganz großen Talente aus eigenen Landen die Chuzpe besaß, den Stallgeruch des Mainstream aus den Klamotten zu waschen und seine Karriere ein bisschen anders voranzutreiben, da rümpften deutsche Jazzpäpste nur pikiert die Nase. Reflexartige Nörgeleien, die Dieter Ilg freilich nicht von seinen notenarchäologischen Exkursen im Deutschen Volksliedarchiv in Freiburg abhalten konnten.

Heute weiß selbst der blasierteste Kritiker, dass der eingeschlagene Weg des erfinderischen Bassisten sowohl künstlerisch wie auch kommerziell der richtige war. Zwei Platten fielen durch respektable Absatzzahlen sowie eine Reihe von Auszeichnungen auf, die Gruppe „Fieldwork“ um den österreichischen Wundergitarristen Wolfgang Muthspiel und den Londoner Ausnahmedrummer und Gelegenheits-DJ Steve Argüelles verwandelte jedes Publikum bei ihren Liveauftritten von eher reservierten Nun-macht-mal-Skeptikern zu restlos begeisterten Anhängern des mutigen Konzeptes. Ein Phänomen, das nun auch bei der Stippvisite der drei im Neuburger „Birdland“-Jazzclub zu beobachten war.

Ilgs gezielter Tabubruch mit der Überarbeitung teutonischer und anderer mitteleuropäischer Stammesweisen wirkt provokant und doch in höchstem Maße logisch. Denn wer es schafft, den naiv-fröhlichen Charme von Gassenhauern wie „Frère Jacques“ in heillos durcheinander purzelnden Improvisationen zu bewahren oder aber in die bunte Vielfalt von „Alle Vöglein sind schon da“ die bislang außen vor gelassene Spezies des Blues-Geiers zu integrieren, der missbraucht nicht etwa überliefertes Liedgut, sondern restauriert es mit viel Bedacht für die veränderten Ansprüche der Gegenwart.

Keine Auge würden die lieben Kleinen bei der „Fieldwork“-Fassung von „Schlaf Kindlein, schlaf“ zu bekommen, sondern über dem honkenden Country-Groove munter zu tanzen beginnen. Dafür besteht Johannes Brahms` „Guten Abend, Gute Nacht“ in der aktuellen Variante jeden Härtetest als Schlummerdroge für die Kiddies, funkelt aber durch die Fixierung auf Muthspiel als führende Stimme wesentlich entschlackter, prägnanter und frech-moderner. Nicht selten klingt der Saitenkobold wie ein Zauberlehrling aus der Schule Bill Frisells, wenn er mit dem halbakustischen Sound seiner Fretless-Gitarre dunkle Wolken über erhabene, kantatenähnliche Melodien (Hey, Ho, Nobody Home) aufziehen lässt.

Kontraste beleben diese offene, inspirierte Feldarbeit. „Der Mai ist gekommen“ und schiebt, drückt, pulst und zischt gar mächtig dank Argüelles, das Weihnachtslied „Süßer die Glocken nie klingen“ birgt nichts mehr Süßes, sondern nur noch die ernüchternde Bitterkeit eines einsamen Großstadt-Heiligabends. Adam Kriegers Minnegesang „Nun sich der Tag geendet hat“ aus dem 17. Jahrhundert lebt von spröden, spinnwebenartigen Strukturen, während „Ich geh mit meiner Laterne“, die Hymne der novemberlichen Martinszüge, als federndes Stücklein daherkommt, bei dem leise, ganz leise, das Thema aus dem Bass des blitzgescheit verbindenden Leaders am Kontrabass hervorlugt.

Das Resultat solch farbenfroher Darbietungen kennen die drei Instrumentalisten inzwischen zur Genüge. Die erste Zugabe „Drum lasst uns all nach Hause gehen“ verfehlt völlig ihre Wirkung, es folgen eine zweite und eine dritte. Und wenn sie nicht gestorben sind und dies nicht die Abschiedstournee von „Fieldwork“ gewesen wäre, dann könnten sie noch heute spielen. Und den Jazz wieder zur allgemein gültigen Volksmusik werden lassen. Ein Märchen?