(Audi Forum Ingolstadt)
Ein Fossil des Jazz, nein, das ist Joe Haider sicher nicht. Der knorrige Schwabe hat zwar Jazz und Swing just in dem Stadium zu spielen begonnen, als diese Musik nach Deutschland schwappte. Aber wirklich alt ist er trotz seiner 70 Jahre darüber nicht geworden.
Der Jazz ist vielmehr – und das zelebrieren er und seine bei weitem jüngeren Mitmusiker im Ingolstädter Audiforum – jung und experimentierfreudig geblieben. Und Joe Haider auch. Zum runden Geburtstag, bei dem sich andere Altersgenossen lieber in die Gartenlaube oder den Ohrensessel zurückziehen, kramt der schwäbisch-bayerisch-schwyzerdütsche Grantler zwar verbal in seinen Erinnerungen. Aber musikalisch bleibt er nach wie vor ungeheuer aktuell. Unterstützung erfährt Haider dabei von seinem Gefährten und – sozusagen als Sahnehäubchen für die eigene Geburtstagstorte – vom Modern String-Quartett, dem bekanntesten Streicherensemble der U-Musik im deutschsprachigen Raum.
Trotz des stattlichen Aufgebots auf der Plattform des Museum Mobile bleiben beide Gruppen ein homogen verzahntes, harmonierendes und sich stimmig ergänzendes Doppelquartett. Mit Violine, Viola und Cello haben Jörg Widmoser, Winfried Zrenner, Andreas Höricht und Jost-H. Hecker ihre Streicherklänge dem Jazz anheim gegeben und diesen vermeintlichen „Third Stream“ einen Abend lang zum lupenreinen Mainstream verwandelt. Doch: Geige und Tenorsaxofon, Cello und Drums, Viola und Bass vertragen sich. Mehr noch: Die Musiker reizen die Virtuosität ihrer Instrumente aus. Gewohnte Klangformen gelten nicht mehr. Wirkt der erste Set in weiten Teilen noch etwas zu bemüht, zu stringent durcharrangiert und den Musikern zu wenig Platz zum Atmen lassend, so findet nach der Pause endlich zusammen, was normalerweise nicht zusammen gehört.
Selbstvergessen und mit akrobatischer Fingerfertigkeit treibt Jost-H. Hecker den wuchtigen Korpus seines Cellos immer weiter von seinem tonalen Ursprung fort, bis die Töne des strengen Holzinstruments fast zur Klangfarbe einer wilden, verzerrten E-Gitarre mutieren. Den Menüzettel des Abends kreiert Haider mit Zutaten von Joe Henderson („The Kicker“), Miles Davis und auch eigenen Kompositionen. Vieles davon nutzt Tomy Geiger mit seinem Tenorsaxofon als Plattform für seinen weiten, trockenen Ton seines matt schimmernden Instruments, bei dem jede Menge heiße Luft nachschwebt. Mit fluktuierenden Tempiwechseln holt Drummer Daniel Aebi punktuelle Akzente und ungewohnt klar fließende Sequenzen aus seinen gespannten Fellen und Metallbecken.
Die frappierende Harmonie der genreübergreifenden Streichinstrumente praktizieren Giorgos Antoniou am Bass und Cellist Hecker. Ihr gezupftes und gestreicheltes Frage- und Antwortspiel, diese brummigen Zwiesprachen wirken wie ein Dialog zwischen schlafenden Riesen. Der Rest des Modern String Quartetts überzeugt zwar im Ensemblespiel. Die solistischen Akzente bleiben jedoch mitunter ein wenig hinter den Erwartungen zurück.
Joe Haider, der Grandseigneur an den Tasten, wirkt mehr im Hintergrund. Er lässt laufen, fügt zusammen, streichelt die Tasten, lacht herzerfrischend ins Publikum, erzählt herrliche Anekdoten von den wilden Jahren im legendären Münchner Jazzlokal „domicile“ und freut sich sichtlich, dem harten Leben wieder ein paar herrliche Stunden inmitten von Jazz-Musik abgetrotzt zu haben.