(Audi Forum Ingolstadt)
„Auf dieser Seite sitzen die Streicher, auf der anderen der Rest der Band.“ Joe Haider, der alte Grantler aus Stuttgart, hat sich einen weiteren Lebenstraum erfüllt: Ein Doppelquartett aus klassischen Streichern und Jazzband, wie es immer wieder auch Max Roach aus der Taufe hob, selten genug jedoch trotz des Vorbilds, einigermaßen exotisch in beiden Welten, dennoch organisch fließend.
Nun hat sich Haider, der seit ein paar Wochen 70 ist, auch Partner gesucht, die zu solchem Unterfangen redlichste Qualifikationen mitbringen. Neben den ungemein swingenden Jazzern Tomy Geiger am Saxophon, Giorgios Antoniou am Bass und Daniel Aebi am Schlagzeug tummeln sich auf der Bühne des Ingolstädter Audiforums die Musiker des Modern String Quartet, erste Adresse in Europa, wenn es um swingende Streicher geht, schlechthinnige Institution der Verschmelzung von „E“ und „U“, Neuer Musik und jazziger Improvisationskunst. Was entsteht, ist eine „Collective Art“, die in einem farbigen Bilderbogen die musikalische Biographie Joe Haiders vertont. „Vision & Reality“ ist so ein Stück mit zeitgeschichtlichem Hintergrund, beschwört das Bild weiß beflaggter amerikanischer Panzer, deren Ankunft in Stuttgart dem kleinen Joe das Ende des Krieges bedeuteten. Anspruchsvolle Kost durchaus, Klangmalerei mit einem Schuss Impressionismus und einer guten Prise Neuer Musik, alles natürlich auf der Basis des Jazz. Der bildet das geheimnisvolle Elixier, das Joe Haider über die Jahrzehnte durch die Weltgeschichte trieb, von Stuttgart und später München aus über den ganzen Globus: „50 Jahre durchgehalten. Ich kann Ihnen nur sagen: Ruinöses Leben, lebermäßig und finanziell. Aber auch ein schönes Leben.“ Selbstironisch plaudert Haider aus dem Nähkästchen einer Jazzerexistenz, die unverwüstlich kreativ ist bis heute, experimentierfreudig wie je. Und es hat durchaus seinen Reiz, wenn Joe Hendersons Thema „The Kicker“ – „Unser Beitrag zur Fußbballweltmeisterschaft!“ – im Unisono von Saxophon, Piano und einem kompakten Streichquartett erklingt, wenn sogar die Bratsche unter den Händen von Andreas Höricht zu solistischen Ehren kommt, die ja normalerwesie eher ein Schattendasein führt. Da nähern sich zwei Klangwelten so weit aneinander an, dass sie in den besten Momenten förmlich verschmelzen. Für Jörg Widmoser, Andreas Höricht, Winfried Zrenner und Jost Hecker vom MSQ geht die Zusammenarbeit mit dem Jazzquartett weit über eine „with strings“-Aufgabe hinaus. Als kompakter Klangkörper ein kollektiver Diaogpartner in Gestalt von vier instrumentalen Persönlichkeiten, Teil der Band, gebunden an die naturgemäß eher engen Vorgaben von Komposition und Arrangement, gleichzeitig freigesetzt zur Improvisation. Die eigene Handschrift präsentieren die vier Streicher mit einer sehr individuellen raffiniert swingenden Version von George Gershwins „Summertime“, ihre Dialogfähigkeit nicht zuletzt mit dem „Nesenbach Blues“, auch so einer Kindheitserinnerung Haiders aus dem Stuttgart der Nachkriegszeit. Wunderbar das Duo von Jost Hecker und Giorgos Antoniou an Cello und Kontrabass, bei dem die con-arco- und pizzicato-Passagen nur so hin und her springen. Nur Fliegen ist schöner: „Qui vole“, eine Komposition von Haiders Lebensgefährtin Brigitte Dietrich vereint rhythmische Komplexität mit flüssigem Groove, klangfarblichen Feinsinn mit dem Gespür für flexible Transparenz. Träume sind Schäume sagt man, aber manchmal werden sie wahr –zumindest für kurze Zeit.