Joe Bawelino – Gige Brunner | 28.10.2023

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Wo liegt der gemeinsame Nenner für zwei Gitarristen, sozusagen ihre Mitte? Exakt in Neuburg, oder besser: im Birdland! Joe Bawelino kommt aus München und Gerhard Brunner aus Nürnberg. Die beiden brauchen also eine knappe Stunde über die A 9, um sich auf halbem Weg in einem der besten Jazzclubs Deutschlands zu treffen – was das Birdland seit vergangener Woche wieder einmal schwarz auf weiß besiegelt bekommen hat.

Bawelino führt die Tradition des Sinti-Gitarren-Übervaters Django Reinhardt fort, liebt aber auch die großen Amerikaner Joe Pass, Wes Montogomery und George Benson, während Brunner dem im Folk gebräuchlichen Finger-Styling frönt und mit erstaunlicher Gelenkigkeit durch den Harmonien-Dschungel galoppiert. Außerdem ist „Big Papa“ Joe 77, während „Gige“ alias Gerhard – im Hauptberuf Comiczeichner – gerade 60 geworden ist. Zwei Generationen, zwei Techniken, aber gerade deshalb ein kongeniales Gitarrenduo, das mal fein ziseliert oder wahlweise fulminant abgroovt, wie die zahlreich erschienen Fans der Gitarre im Kellergewölbe begeistert zur Kenntnis nehmen durften.

Wenn es um die perfekte Kongruenz von Stahlsaiten geht, dann gibt es seit Beginn der Hofapotheken-Ära 1991 eigentlich einen bislang unverrückten Maßstab: Das „Helmut-Duo“ mit Helmut Kagerer und dem leider 2020 viel zu früh verstorbenen Helmut Nieberle. Zum Glück agiert das „BB-Duo“ völlig anders, hat Spaß an sich selbst und an der unvergleichlichen Birdland-Atmosphäre und präsentiert so etwas wie die Gitarren-Charts des 20. Jahrhunderts, einen bunten Strauß aus Gassenhauern mit Wiedererkennungswert und höchst virtuosem Handwerk. Die beiden Gitarreros schaffen es, Solostimme und Melodie so geschickt übereinander zu legen, dass man mitunter gar nicht mehr weiß, wem der Applaus für einen gelungenen Alleingang nun tatsächlich gebührt. Macht nix! Den beiden geht sowieso nicht darum, das eigene Licht möglichst hell erstrahlen zu lassen, sondern eher um eine raffinierte Um- und Neudeutung bekannter Standards.

So wirken das eigentlich untrennbar mit den Beatles verwobene „Till There Was You“, „The Days Of Wine And Roses“, „Body And Soul“, „Satin Doll“, „Secret Love“ oder „Bye Bye Blackbird“ nie wie Blaupausen berühmter Originale, sondern wie Songs, die Bawelino und Brunner passgenau auf den Leib geschrieben sein könnten. „Honeysuckle Rose“ mit diesem herrlich staksigen Unisono-Intro, das in ein sprudelndes Berg- und Tal-Intermezzo von Bawelino mündet, oder „Misty“, bei dem eigentlich nur noch das knisternde Lagerfeuer fehlt, stehen exemplarisch für die Unverwechselbarkeit des Tandems. Joe Bawelino kaut die Töne hör- und sichtbar durch und scheint in Dispute mit seinem Instrument zu treten, das ganz offensichtlich auch ein paar Takte mitreden möchte. Vor, zurück, den Gitarrenkorpus steil gestellt, nach unten gedrückt und in kleinen Achterbahnen gedreht – vom verbissenen Fokus manch klassischer Gniedler ist „Big Papa“ weit entfernt. Und Gige Brunner neben ihm stimmt die All-Time-Favourites scheinbar lakonisch, aber dennoch hörbar mit Passion an, die Töne rollen wie reife Früchte von der Bühne in die Ohren der Zuhörer.

Die lassen sich vor allem durch den fränkisch-oberbayerischen Bossa Nova-Mix in Form von ureigenen Versionen von „Black Orpheo“ oder „Orpheo Negro“ einfangen, während Brunner als erste von drei Zugaben gar den „Schorschi“ ankündigt – „Sweet Georgia Brown“ – zum Glück ohne anbiedernde Swing-Attitüde, was gerade jetzt irgendwie richtig guttut. Der Schlüssel ihres beseelten Zusammenspiels liegt in der tiefen, fetten E-Saite, die beide in der Harmoniebegleitung wie einen Geheimcode nutzen. Und damit tatsächlich die Quadratur des Kreises schaffen: Entertainment auf allerhöchstem Niveau.