Wenn Jazz immer wieder plakativ als ewig junge Kunstform ohne Abnutzungserscheinungen apostrophiert wird, so erlebte der vollbesetzte Neuburger Birdland-Keller am vergangenen Freitag eine gnadenlose Umkehr dieses Klischees. Das einzige Deutschland-Konzert der legendären „Jimmy Giuffre 3“ hatte Fans aus allen Himmelsrichtungen zum Wiedersehen mit ihren Idolen an die Donau gelockt. Denn obwohl inzwischen in die Jahre gekommen, stehen der Pianist Paul Bley, der Bassist Steve Swallow und eben Jimmy Giuffre immer noch für jenen kulturellen Geist des Aufbruchs der 60er, als sie Klassisches mit Folklore, Bebop, moderner E-Musik und Freejazz zu ihrer ureigensten Erfindung, der lyrischen Avantgarde, verwoben.
Die aufsehenerregende Wiedervereinigung der drei sowie eine neue Plattenproduktion („Fly away little Bird“) wurden von der Fachwelt 1991 frenetisch bejubelt. Entsprechend gestaltete sich natürlich auch die Erwartungshaltung für den Gig in Neuburg, den Birdland-Chef Manfred Rehm nach langem Tauziehen für das Jubiläumsprogramm des rührigen Clubs unter Dach und Fach gebracht hatte. Doch statt unbändiger Freude machte sich im Hofapotheken-Keller schon recht bald Ernüchterung, ja Bestürzung breit.
Der Grund dafür lag bei Jimmy Giuffre selbst. Der „Spiritus Rector“ der Gruppe und Mitglied der „Four Brothers“ von Woody Herman in den 40ern leidet unter der unheilbaren Parkinson`schen Krankheit. Nur mit fremder Hilfe schaffte der heute 74jährige Amerikaner den Weg zur Bühne. Dort ließ er sich ein Sopransaxophon reichen und verzichtete zur Überraschung aller auf die Klarinette, die sich in seiner Hand zu einem echten Markenzeichen der „Jimmy Giuffre 3“ entwickelt hatte. Warum, wurde schon nach wenigen Takten klar: der einstige Jazzpoet verfügt nicht mehr über den nötigen Atem, um die technisch schwierigere Klarinette zu blasen. Obwohl Intonation und Time noch fast perfekt sitzen, bereitete es dem einstigen Meister der freien Improvisation deutlich hörbar Mühe, den Ideen Bleys und Swallows handwerklich Gleiches entgegenzusetzen. So beschränkte sich Giuffre auf die Melodie, brüchig, anrührend, fast verletzlich und weich im Ansatz.
Der Pianist und der Bassist mochten ihren gebrechlichen Gefährten ganz augenscheinlich nicht „überspielen“. Das Trio bot deshalb ausschließlich Standarts, wie „They say it is spring“ oder „All the things you are“, die in wenigen Momenten durchaus das altbekannte, faszinierende Spannungsverhältnis zwischen auskomponierten und frei hinzuassoziierten Partien erreichten. Doch aus bekannten Gründen scheint bei den Urvätern der Avantgarde die Lust am Experiment weitgehend erloschen. Was einzig zählt, ist die Klarheit der Instrumentenstimmen, die trotz eigener Linien stets eine unmerkliche Gemeinsamkeit besitzen.
Daß nicht der „Dramatiker am Piano“ Paul Bley mit seinem Hang zu expressionistischen Farbtupfern an diesem Abend die Akzente setzte, sondern Steve Swallow mit seinem wie eine Gitarre angeschlagenen Elektrobaß, durfte ebenfalls nicht von vorne herein erwartet werden. Bei ihm und seinem klassisch beinflußten Solo zu Beginn des zweiten Sets schien die Suche nach den Grenzbereichen des Jazz noch am deutlichsten spürbar.
Für den warmen und überaus herzlichen Abschied von der weltbekannten Formation nach einem relativ kurzen Gastspiel voller schmerzlicher Momente gibt es eine einleuchtende Erklärung: die meisten der Zuhörer ahnten wohl, daß sie einen der ganz Großen des Jazz zum letzten Mal live gehört hatten.