Jim Mullen Sextet | 21.11.2003

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Irgendwie ist ein Jazzkonzert wie ein Essen: Mehrere Köche, die durchaus mal den Brei verderben können, die üblichen Zutaten aus Mutters Küche und ein Garprozess, bei dem die Gäste hautnah dabei sein dürfen. Was am Ende serviert wird, weiß am Anfang noch niemand: Omelette surprise. Alles auch eine Frage des Geschmacks.

Auf dem Speiseplan des Neuburger „Birdland“ standen diesmal weniger musikkulinarische Innovationen, sondern vielmehr biedere Hausmannskost. Wiener Schnitzel statt Hummerfrikassee mit gebackenen Curry-Reiskugeln, handgemachter Swing statt technisch erzeugte Klangexperimente. Nix Spektakuläres also, was sich die „Chefs“ Jim Mullen und Helmut Nieberle (beide Gitarre) da für ihr zweites Galamenü innerhalb eines Jahres in Neuburgs Jazz-Delikatessetempel ausgedacht hatten. Doch dass große Könner einfach aus allem ein leckeres Gericht zaubern können, erfuhr das ausgehungerte Publikum zwei sinnliche Stunden lang am eigenen Leib.

Die bekömmliche Grundsubstanz ist nicht etwa einem Kochbuch entliehen, sondern stammt aus dem Great American Songbook: edle Evergreens und alte Schinken, allesamt gut abgehangen. Das schmeckt jedem, hat aber bei anderen Fastfood-Bruzzlern leider viel zu oft ein schales Gefühl in der Magengegend erzeugt. Mullen und Nieberle überwürzen ihr Souflée keineswegs, sondern wägen sorgsam Prise für Prise, Break für Break, Akkord für Akkord ab. Ein wenig gehackte Hardbop-Wurzeln, einen Schuss Zigeunerblut, das Ganze goldgelb zum Schwitzen gebracht in rohem Blues – irgendwann kreieren die beiden ihre ganz eigene Rezeptur, süffig, sämig, süß. Und das, obwohl sie aus Städten stammen, die gemeinhin weder als Koch- noch als Jazzhochburgen in Erscheinung getreten sind: Glasgow und Regensburg.

Vielleicht liegt es auch an dieser intuitiv perfekten Mischung und dieser ganz besonderen Entspanntheit, mit der die Maîtres in der Soundküche zu Werke gehen. Denn ohne Bob Rückerl und sein delikates, vollreifes Baritonsaxofon würde sich selbst das schärfste Chili wie Schonkost auf der Zunge anfühlen. Scotty Gottwald rührt den Harmonien immer wieder elegant sein exzellentes, variables Drumming unter, ohne damit gleich zum Schaumschläger zu degenerieren. Und Christian Dieners „Dubiduwa“-Gebrummel ist fast so betörend wie seine engmaschig geknüpften Basslinien, die sich als lassoartige Dekoration um den Tellerrand jedes Themas schlingen.

Aber für den Gesang ist ein ganz anderer zuständig, quasi das Dessert, das Sahnehäubchen. Charly Meimer, der unscheinbare Mann mit dem Mut zum begrenzten Oktavumfang und der entwaffnenden Natürlichkeit eines Chet Baker, verzaubert gerade deshalb über alle Maßen, weil er sich nie aufplustert,  künstlich erhöht. Mit der Reinheit eines frischen Apfels und der Süße eines Löffels Honig serviert er Standards wie „You and the Night and the Music“ – schlichte, unmittelbare Emotionen, die tief unter die Haut gehen.

Ansonsten gelingt es Mullen und Nieberle spielend, sowohl luftiges Popcorn wie das furiose „Bob(p) in Pfaffenhofen“ (sic!) als auch schwere Brocken wie etwa eine Kurz-Hommage auf Kurt Weill zum leckeren akustischen Gaumenschmaus zu erheben. Manchmal wirkt vor allem Mullen dabei wie Joe Pass, jener Bocuse der Gitarre, der an genau der gleichen Stelle vor zwölf Jahren eines der leckersten „Birdland“-Menüs aller Zeiten zubereitete: meditativ, filigran, spritzig, delikat. Das Publikum genießt, schwelgt, verlangt gleich zweimal Nachschlag und bekommt ihn auch, wenn auch mit gebremstem, balladeskem Schaum. Das grenzt dann fast schon an Völlerei.