Der Tenorsaxofonist Jerry Weldon, 1957 in New York geboren, hat in den gut 45 Jahren, in denen er die Jazzszene bereichert, schon einiges erlebt. Er war Teil des berühmten Orchesters von Lionel Hampton, spielte in den Bands von Lonnie Smith, Jack McDuff, Joey deFrancesco, Roy Haynes, Jimmy Cobb und George Benson und als Solist in der Big Band von Harry Connick Jr. Trotzdem blieb er immer einer dieser „Schattenmänner“ des Jazz, in Musikerkreisen hoch geschätzt, einer breiteren Öffentlich aber weitgehend unbekannt.
Im Birdland steht er zusammen mit seinem europäischen Quartett, bestehend aus dem Pianisten Julian Schmidt, dem Schlagzeuger Xaver Hellmeier und Miloš Čolović am Kontrabass dort, wo er eigentlich hingehört, im Rampenlicht nämlich. Schon allein aus dem Grund, weil er wegen seines körperbetonten Stils, seiner Anheizer-Qualitäten und seiner Freude an den Posen eines Showmans ganz einfach an die vorderste Front gehört. In musikalischer Hinsicht bricht er eine Lanze für den traditionellen Mainstream-Jazz, für Bebop und Soul-Jazz, und ist damit auf Pfaden unterwegs, die bereits viele seiner Kollegen ausgetreten haben und immer noch austreten, aber was soll’s, es geht in diesem Fall nicht darum, täglich das Rad des Jazz neu zu erfinden, sondern darum, seine Freude und seinen Spaß zu haben mit dem Bewährten, mit dem, was schon da ist. Was aber nur dann funktioniert, wenn man mit diesem Erbe umgehen kann und sein Metier auch wirklich beherrscht.
In dieser Hinsicht muss man bei Weldon an diesem Abend gar keine Bedenken haben. Er ist zwar zum ersten Mal in seinem Leben in diesem „berühmten Jazztempel“, wie er das Birdland nennt, aber Berührungsängste kennt er nicht. Dexter Gordon’s „Cheese Cake“, Randy Weston’s „High Flying“, Hoagy Carmichael’s „Skylark“, George Cable’s „I Told You So“ – das jener vor ziemlich genau fünf Jahren selber noch im Birdland gespielt hat – und Lionel Hampton’s „Hey Ba Ba Re Bop“ sind absolute Volltreffer und mit „Damon’s Song“ und „Sunny V“, die er für seinen Sohn und seine Gattin Virginia DeBarry geschrieben hat, fügt er beiden Sets noch eine persönliche Note hinzu. Im Alter von 14 sah Jerry im legendären Village Vanguard Stan Getz auf der Bühne und wollte ab dieser Minute Jazzmusiker werden. „Dafür musst Du aber richtig gut werden“ soll sein Vater gesagt haben. Jerry wurde richtig gut, wie man heute weiß und sehen und hören kann. Sein Saxofon schleicht sich an, umschmeichelt, greift unvermittelt an, schnappt zu, extroviertiert, hoch emotional, feurig, mit vollem Einsatz von Körper, Seele und Herz, bei den Balladen aber auch mit Feingefühl und äußerst subtil.
Ja, dieser Jerry Weldon beherrscht die ganze Palette und weiß zudem, wie man mit einem Publikum umgeht, das bereit ist, sich auf ihn einzulassen. Besonnenheit und Übermut liegen bei ihm oft gar nicht so weit auseinander. Er kennt die Tricks eines guten Entertainers mit Gespür für den Augenblick und hat ein Händchen für die richtige Dosis, das richtige Maß, um Stimmung zu erzeugen und sich dabei dennoch nicht in oberflächlichem Show-Gehabe zu verlieren. Und er macht dabei auch noch wirklich gute Musik, was ja immer noch die Hauptsache ist. Ein schöner Abend im Birdland. Und ab sofort ist dieser Jerry Weldon kein Unbekannter mehr. Zumindest in Neuburg und Umgebung nicht.