Jeremy Pelt Quartet | 16.04.2004

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Die Insignien der Jugend tragen sie in jeder Lachfalte spazieren, jeder Handbewegung, jedem noch so coolen Satz, jedem Ton. Der Trompeter Jeremy Pelt und seine drei Kumpel sind wahrscheinlich die authentischsten „Rising Stars“, die der Neuburger „Birdland“-Jazzclub in der inzwischen neunjährigen Geschichte dieser beispiellosen Nachwuchsserie auf seine Bühne bat.

Vor Kraft, Fantasie und Adrenalin fast überlaufende Gipfelstürmer in superweiten Schlaghosen, zotteliger Langmähne wie Drummer Tommy Crane, postpubertärer Unruhe oder aufgesetzter Lässigkeit. Dazu noch diese erfrischende Unberechenbarkeit ihrer Musik. Kein routiniert abgespultes Programm, kein Netz und doppelter Boden: Wenn die Vier loslegen, sich wie Kinder ins Abenteuer stürzen, nicht wissend, was sie dabei erwartet, dann kalkulieren sie auch ganz bewusst den Absturz mit ein.

Der passierte dem Quartett um Jeremy Pelt an diesem Abend durchaus einige Male, ebenso häufig wie die Jungs dann aber auch wieder völlig unverhofft zu grandiosen Höhenflügen ansetzten. Die Summe fast dreier Stunden schweißtreibender Arbeit einer im wahrsten Sinn des Wortes verspielten Band, die mit einer elektrisierend-elektrischen Gitarre (Mike Moreno), einer dampfenden Trompete, einem pochenden Bass (Derek Nievergelt) und einem brodelnden Schlagzeug eine kerosinhaltige Essenz anrührt. Akustischer Grunge-Jazz wäre wohl der passende Ausdruck, weil es nur ganz selten nach alter Väter Sitte swingt, aber dafür um so heftiger rumpelt, gründelt und ein fast Trance ähnliches Feeling aufbaut.

Im Mittelpunkt steht ganz klar Jeremy Pelt, dieses Bergmassiv voller Esprit und Energie. Der 27-jährige Chef und Bandsenior bläst höher als bei seinem ersten Gastspiel im Hofapothekenkeller im Januar 2002 mit Lonnie Plaxico. Er presst mehr, lässt die Zunge halsbrecherisch flattern oder zieht Haltetöne von fast einer Minute durch die siedende Notenmagma. Kurz: Mit reduziertem Gewicht hat sein Vortrag noch athletischere, kampfeslustigere Züge angenommen. Pelts Credo lautet: Mach, wozu du gerade Lust hast. „Ich habe heute auf der Fahrt hierher ein Stück geschrieben, das möchte ich mal ausprobieren. Sorry, wenn`s noch nicht passt.“ Sagt`s und intoniert „Only“, ein treibendes Etwas voller innerer Umkehrschlüsse.

Oder diese sonderbare Komposition von Drummer Crane, die sich in Wirklichkeit als ständig im Wandel befindliche Improvisation entpuppt und jeden Abend einen neuen Namen erhält. In Neuburg heißt sie „Finding Stefanie“, spontan von Pelt nach einer unglücklichen Liebe seines erst 20-jährigen Schlagwerkers benannt. Der zeigt dann auch, wie ernst es ihm ist, Stefanie wiederzufinden, indem er ein infernalisch-geniales Gewitter veranstaltet, das irgendwo zwischen dem frühen Tony Williams und dem erwachsenen Jon Hiseman anzusiedeln ist.

Plötzlich, durch all die Giftdämpfe und den Großstadtsmog, segelt dann eine Ballade wie „But Beautiful“ herein, unschuldig, frisch wie ein Tautropfen. Pelt spielt nur wenig, lässt viel Luft durchs Mundstück, setzt unsichtbare Emotionen frei, während Gitarrist Moreno mit gespenstischen Licks eine kollektive Seelenwanderung inszeniert. Das sind diese Momente, in denen das gesamte Potenzial dieser hochtalentierten Burschen erst so richtig zum Tragen kommt. Die Kunst, sich im Sinne der eigentlichen Kunst zurückzunehmen, klug zu dosieren, den Überschwang der Gefühle in den Griff zu bekommen. Es müsste – nein, es wird ihnen gelingen. Wenn nicht jetzt, dann mit Sicherheit in ein paar Jahren.