Jens Düppe – The Beat | 10.12.2022

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Sind Schlagzeuger wirklich die besseren Bandleader? Vielleicht sogar die besseren Komponisten? Diese Fragen stellen sich nicht wenig spätestens seit Art Blakey, der mit seinen Jazz Messengers Geschichte schrieb und über Generationen mehr Ausbildung betrieb, als dies je an einer Hochschule möglich gewesen wäre. Chico Hamilton, Paul Motian oder in Deutschland Wolfgang Haffner sowie seit einigen Jahren auch Jens Düppe beweisen vor allem eines: Sobald ein Drummer den imaginären Dirigentenstab in der Hand hält, klingt jede Band anders. Organischer, komplexer, ausgeglichener.

Das Publikum im Neuburger Birdland-Jazzclub weiß nach einem bunt schillernden, facettenreichen, spannenden und entspannten Konzert am Samstagabend exakt, wo dieser Unterschied liegt. Denn Düppe ist definitiv einer der musikalischsten Schlagzeuger der Republik. Kein Haudrauf-Bumbum-Athlet, der sein Drumset als „Schießbude“ oder „Batterie“ versteht. Denn aus den Fellen können Noten erwachsen, viele Noten, vom Puls und den Pausen einmal ganz zu schweigen. Der 48-jährige Kölner interpretiert seine Rolle nicht als klassisch heizender, hochtouriger Verbrennungsmotor, sondern sieht sich eher als fein schnurrender E-Antrieb, der alles unspektakulär aber höchst effektiv am Laufen hält, sowohl die Rhythmen wie auch die Töne. Er ist der Puls der Musik, ganz egal ob sie modern swingt oder in spannende Klangcollagen mündet, und versteht es eindrucksvoll, seinen Fantasien mit feinen Händen Gestalt zu verleihen.

Jens Düppe allein bei seiner Arbeit zu beobachten, bereitet enormes Vergnügen. Er fächert mit den Handflächen auf den Becken oder den Trommelfellen, lässt genüsslich Shaker durch die Luft kreisen oder legt einen ganzen Teppich voller Polyrhythmen auf das Set, so als wäre es das Einfachste der Welt. Mit dieser wundersamen Melange aus Groove und Klang gelingt es ihm, die Mitglieder seiner langjährigen „Freundesband“ in einen großen, kollektiven Sog zu führen und sie dabei noch ein Quäntchen besser klingen zu lassen. Bei Frederik Köster wäre dies eigentlich gar nicht mehr nötig. Dem augenblicklich besten deutschen Trompeter des Jazz (aus dem sich ein Till Brönner längst verabschiedet hat) gelingt es aber tatsächlich, in diesem Quartett eine neue Stufe seiner unglaublichen Fähigkeiten zu erklimmen, mit blitzsauberen High Notes, Dirty Growls bis hin zu gehauchten Plunger-Passagen. Der 45-Jährige tänzelt, taumelt, ebenso wie seine drei Brüder im Geiste, nahezu schwerelos durch das musikalische Hügelland der Düppe-Kompositionen, bis alles zu einem kollektiven Ausdruck verschmilzt. Alles eine Frage des gegenseitigen Vertrauens und eines stabilen Zentrums. Dem fügen sich auch gerne Pianist Lars Duppler, der mit seinen lyrisch verbindenden Läufen so etwas wie der Wunschpianist jeder zeitgenössischen Combo ist, sowie der geschmackvolle Bassist Christian Ramond, 31 Jahre nach seinem ersten Gastspiel im Hofapothekenkeller und von Düppe „meine Legende“ genannt, weil nun jede Band ihre eigene Legende brauche.

Die Titel des Ensembles wirken wie ein Tagebuch durch die Seelen der Protagonisten, sind kernig, detailverliebt, meditativ, bewegend und in jeder Hinsicht atemberaubend. Stellvertretend seien nur das hippelige „30 Little Jelly Beans“ oder die wunderschöne Ballade „Magnolia“ genannt, die das Gewölbe für einige Minuten in sardisches Abendrot taucht. Der Keller mag diesmal nicht bis auf den letzten Platz gefüllt gewesen sein – aber nur selten zuvor gab es nach dem letzten Stück derart viele Bravo-Rufe, derart viele begeisterte Publikumsreaktionen, was Jens Düppe und seine Freunde umgehend mit langen zwei Zugaben belohnen. Eines der besten Konzerte in einem an Höhepunkten weiß Gott nicht armen Jahr im Neuburger Birdland!