Jenny Evans & Rudi Martini Quartet | 07.01.2005

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

16 Monate sind seit ihrem letzten „Birdland“-Gig vergangen; 16 Monate, in denen sich fast alles verändert hat. Der Preis der deutschen Schallplattenkritik für ihre aktuelle CD „Nuage“, die europaweite Anerkennung für ihren mutigen Nonkonformismus, das vielstimmige Kritikerlob und die immense Resonanz – Jenny Evans hat es nun also tatsächlich geschafft. Endlich. Nach 27 Jahren.

So lange schon bastelt die englische Sängerin von München aus an ihrer Karriere. Ein Multitalent, das alles besitzt, was den meisten der jungen, als Marketingkonzept ins Rennen geschickten Mikrofonhalterinnen völlig fehlt: Bühnenpräsenz, Ausstrahlung, Anmut, Mutterwitz, Klugheit, Stehvermögen und vor allem eine richtig gute Stimme. Charakter hat Jenny Evans obendrein. Selbst jetzt, nach ihrem Durchbruch, kehrt die Frau gerne dorthin zurück, wo sie schon früher eine richtig große Nummer war.

Das Neuburger Publikum zum Beispiel lag ihr schon vor Jahren zu Füßen. Heute scheinen es aber noch mehr zu sein. Bereits vor Weihnachten sei der Jazzclub bis auf den letzten Quadratzentimeter ausverkauft gewesen, konstatiert Impresario Manfred Rehm, und wirkt ein wenig ratlos ob der vielen Nachzügler, die selbst Stunden zuvor unbedingt noch Karten ergattern wollten. So muss/darf Jenny dann in drangvoller Enge ein Programm präsentieren, das im krassen Gegensatz zu dem steht, was den beinahe schon todgenudelten Klischee-Jazz des 20. Jahrhunderts kennzeichnet. Sie dekliniert und deklamiert nicht ein weiteres Mal das Great American Song Book, sondern besinnt sich mittlerweile ganz auf ihr europäisches Erbe.

Ein weiß Gott schwieriges Unterfangen. Im Bossa-Tempo und mit dem englischen Titel „I`m alone after all“ wirkt Peter Kreuders vormals biederes „Wenn die Sonne hinter den Dächern versinkt“ jetzt geradezu lasziv und weltläufig. Das Motto lautet: Aus Alt mach Neu, aus Klassikern wird Gegenwarts-Jazz. Mit John Dowlands Früh-Barock-Arie „Flow my Tears“ oder John Dankworths „Our Revels now ended“, einer Shakespeare-Adaption, würde die bayerische Britin in Oxford wie in New York reihenweise offene Ohren finden. Nicht die einzigen leisen Höhepunkte, bei denen Pianist Walter Lang als einfühlsamer Begleiter Klaviernoten wie Herbstlaub auf die orangefarbene Bühne trudeln lässt.

Es kommt noch extremer: „Veris leta Facies“ aus der „Carmina Burana“ von Carl Orff interpretiert sie im lateinischen Originaltext (!), während in ihrem Rücken Bassist Thomas Stabenow strenge, gründelnde Partituren streicht. Django Reinhardts „Nuages“ kommt auf französisch, in „Remember me“ von Henry Purcell klingt sie nicht zuletzt wegen des erdigen, trockenen, enorm anregenden Tenorsaxofonisten Till Martin wie eine traurige Fee im Nebel. Das extremste Stück bleibt freilich George Harrisons indisches „Within you, without you“, dessen Karma sich vor allem in den Händen der wunderbar flexiblen Band verwandelt. Lang imitiert dabei eine Sitar auf den Stahlsaiten des Flügels und Drummer Rudi Martini lässt die Snare in Handarbeit wie eine Tabla klingen.

Was sich als eklektizistisches Programm liest, manchmal vielleicht auch ein wenig zu weihevoll daherkommt, einem Tanz auf der Rasierklinge gleicht und für die liebe Konkurrenz garantiert im jähen Absturz enden würde, ist Jenny Evans` Antwort auf die Herausforderungen eines langen Künstlerlebens. Einmal etwas völlig anderes machen, die Sackgassen verlassen und so dem Genre wieder eine echte Perspektive schenken. Dazu noch ein Organ, das im Laufe von 27 Jahren immer reicher, immer vollmundiger geworden ist.

Der späte Erfolg gibt ihr recht. Nicht nur beim Zugaben-Dauerbrenner „Eine Nacht voller Glückseligkeit“ schmelzen deshalb wieder reihenweise Steine, brechen Herzen wie Eisblöcke im Whiskeyglas, zerbröseln sämtliche emotionalen Barrieren. Aber das war zumindest in Neuburg schon immer so.