Jeff Siegel Quartet | 18.03.2005

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Der Ansatz ist allemal bemerkenswert: Der US-Drummer Jeff Siegel sucht nach den „Magical Spaces“, den verzauberten, noch nicht erkundeten Zwischenräumen im Jazz. Es sei beileibe noch nicht alles gespielt und gesagt, zitiert er auf der Bühne im Neuburger „Birdland“ seinen großen Landsmann, den Trompeter Tom Harrell (am 15. April ebenfalls in der Ottheinrichstadt).

Aber es werden definitiv andere sein, die neue Zitate kreieren, neue Spielformen ersinnen. Denn Siegel – so viel steht nach ernüchternden und langatmigen 160 Minuten im Hofapothekenkeller fest – findet mit seinem Quartett allenfalls die „Common Spaces“, jene Nischen, die schon vor Jahrzehnten entdeckt wurden, nach der Zeit des Bebop, noch vor dem revolutionären Aufbegehren des Freejazz. Von John Coltrane zum Beispiel. An dessen hymnischen Gestus, diese typische meditative Struktur, die schon als „Coltrane-Style“ in die Analen eingegangen ist, knüpfen der Drummer sowie seine Bandmitglieder Francesca Tanksley (Piano), Erica Lindsay (Tenorsaxofon) und Danton Boller (Bass) an. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.

Fast wäre man geneigt, dies ketzerisch einen typisch europäischen Ansatz zu nennen. Bislang jedenfalls zelebrierten allenfalls Post-Avantgardisten aus der alten Welt solche rauschhaften Klangorgien in dem Irrglauben, damit modern zu wirken. Dass nun auch vier Amerikaner, die allesamt über einen guten Namen in der aktuellen Szene verfügen, den Blick rückwärts richten, ist das eigentlich Neue, mitunter aber Befremdliche an der ganzen Sache.

Harmonisch machen die Kompositionen des schlagzeugenden Bandleaders durchaus Sinn. Sie wecken die Lust auf mehr, auf überraschende Richtungsänderungen, pendelnde Spannungskurven. Doch meist bewegt sich die Darbietung der Vier nur auf einer Ebene; linear, unspektakulär, auf die Dauer ermüdend. Lange, selbstverliebte Soli münden ins Thema und leiten über zum nächsten Solo. Ist das wirklich die vielbeschworene Innovation?

Manches führt auch schlicht am hochgesteckten Motto vorbei. Die Hommage auf „Sir Roland“ (Hanna), einen der komplettesten Pianisten der Jazzgeschichte etwa, nutzt Jeff „Siege“ Siegel für ein ausschweifendes, plakatives Drumfeature. Er formt Töne, trommelt Melodien und zeigt, was aus einem Set alles herauszuholen ist. Aber das hat vor 40 Jahren auch schon Chico Hamilton getan, und tut es heute noch – besser. Bassist Boller, der beim umjubelten Auftritt mit Bennie Wallace im November noch viele Pluspunkte sammeln konnte, liegt diesmal mit seiner ganzen Kreativität weitgehend brach wie ein abgeerntetes Feld da. Erica Lindsay bläst ein druckvolles Tenorsax, erreicht aber nicht einmal im Ansatz das Feuer Coltranes. Ganz davon abgesehen, dass ihre lodernden, chromatischen Wucherungen längst als völlig „far out“ gelten.

Den frischesten Eindruck macht da noch Francesca Tanksley. Das programmatische „Magical Spaces“ erhebt die Tastenfrau durch ihre komplexe, vielseitige Pianistik zum eindeutigen Höhepunkt eines ansonsten eher lauen, altbackenen Abends. Manchmal zwar mit etwas zu viel Verve und zu heftig an der energetischen Schraube gedreht, aber allemal voller schillernder Farben. Und wenigstens einmal nicht mit diesem fürchterlichen Drang, um jeden Preis das Jazzklavier neu erfinden zu müssen.