Jazz alla Flute „Essenza“ | 10.10.2020

Donaukurier | Karl Leitner
 

Immer wieder gibt es selbst für erfahrene Konzertgänger im Birdland Jazzclub in Neuburg bis dato Ungehörtes zu entdecken. Zum Beispiel die höchst außergewöhnliche Kombinati­on von Gitarre und Querflöte. Um dem Auditorium zu beweisen, dass eine Zu­sammenarbeit auch dieser beiden Instru­mente durchaus möglich ist, sitzen an diesem Abend der in Stuttgart lebende italienische Gitarrist Lorenzo Petrocca und die Flötistin Isabelle Bodenseh aus Mainz auf der Bühne des Clubs.

Auch Skeptiker müssen bereits bei der ersten Nummer, João Bosco’s „Incompa­tibilidade De Genios“, einsehen, dass das Vorhaben trotz der Tatsache, dass ja im Grunde ausschließlich Melodieinstru­mente daran beteiligt ist, durchaus funk­tioniert, selbst dann, wenn Bodenseh mit der C-, der Alt- oder der Bassquerflöte als Begleiterin ihrem Singlenotes spie­lenden Partner eine zwar notgedrungen akkordfreie, aber dennoch harmonisch tragfähige Basis liefern soll. Sie über­bläst, gurrt und surrt, singt in ihr Instru­ment hinein, atmet mit ihm, es zwit­schert und flirrt, es entsteht nach und nach eine ganz eigene Klangwelt, in der John Coltrane’s „Lonnie’s Lament“ und „Bill Evans‘ „Waltz For Debbie“ ebenso ihren Platz haben wie Dizzy Gillespie’s „Birk’s Works“ und Zequinha de Abreu’s Welthit „Tico Tico“, dem sicherlich am leichtesten zugänglichen Stück des Abends.

Ist das Thema der jeweiligen Komposi­tion erst einmal gemeinsam vorgestellt, trennen sich im Mittelteil die Wege der beiden Instrumentalisten, ihre Linien verzweigen und verästeln sich, ruhige Passagen und quirlige Betriebsamkeit wechseln sich ab, die Rollenverteilung zwischen Solist und Begleiter erfolgt meist recht spontan, ständig stehen Pe­trocca und Bodenseh, die mit diesem Projekt, das sich „Jazz A La Flute“ nennt, bereits seit drei Jahren gemeinsam unterwegs sind, in Blickkontakt, ständig werden Ideen ausgetauscht, die Verstän­digung erfolgt mittels kleinster Gesten. Und nebenbei haben die beiden auch noch Zeit, mit Sinn für Humor und tro­ckenem Witz durchs Programm zu füh­ren.

Bis auf Petrocca’s Eigenkomposition „Essenza“, die dem brandneuen Album des Duos auch den Titel gab, spielen die beiden ausschließlich Adaptionen, auch Stücke von Chick Corea und Henri Man­cini, die man nicht unbedingt erwarten konnte. Aber was ist schon vorhersehbar, wenn man als Hörer soeben vordringt in einen bislang unbekannten musikali­schen Kosmos, soeben eine völlig neue Hörerfahrung macht. Inwieweit sich der Einzelne wohlig zurücklehnen und ent­spannt genießen kann bei diesem außer­gewöhnlichen Klangbild, muss jeder für sich selbst herausfinden. Das Programm des Birdland hält auch für solcherart per­sönliche Abenteuerreisen in die Welt des Jazz, in der anscheinend nichts unmög­lich ist, immer wieder passende Optio­nen bereit. Auch darauf gründet sich der hervorragende Ruf des Clubs.