Jason Moran And The Bandwagon | 10.01.2003

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Ein Bassist, der aussieht wie Puff Daddy, eine plötzlich aus dem Himmel fallende Ballade, die wie „Swing low sweet Chariot“ klingt, ein Konzert, das sauer wie Freejazz schmeckt: So fährt Jason Morans „Bandwagon“ ohne Vorwarnung mitten durch den heimeligen Neuburger „Birdland“-Jazzclub.

Natürlich ist es nicht Puff Daddy, sondern der genial-verrückte Tarus Mateen, der da im Sitzen wie ein Berserker zupft und dabei fast nach hinten vom Stuhl kippt. Natürlich schwebt nicht „Swing low…“ durch den Raum, sondern allenfalls dessen Gerippe. Und natürlich wäre Freejazz viel zu kurz gegriffen, um den gewaltigen musikalischen Kosmos des 27-jährigen Wunderknaben am Piano abzustecken. Er selbst nennt seine Darbietung „Soundtrack to human Motion“. Etwas Eigenes, Unerhörtes, Freches, Fremdes, modelliert aus den Rohmaterialien des Jazz. Provozierend und dennoch in seiner ganzen Aufmüpfigkeit schon fast wieder populistisch.

Emotionen fliegen wie Konfetti durch den Hofapothekenkeller. Poesie, Zauber, Zitate, neue Reime, Lichtgewitter, grelle Blitze, Funken: Der „Bandwagon“ transportiert das ganze menschliche Mit- und Gegeneinander, Egoismen, Harmoniesucht, Neugierde, Übermut, Unruhe, Angst. Ein Spiegel der Gesellschaft und ihrer Kultur, alles und jeden gnadenlos reflektierend.

Zwei Schlagzeugsticks und 88 Elfenbeintasten tanzen, der Gitarrenbass zieht glühendes Wachs über die daraus entstehenden Sekundenfiguren. Die drei schaukeln sich hoch, bellend, beißend, ungestüm. Drummer Nasheet Waits evoziert mit mächtigen, lauten Rhythmusfiguren eine dunkle Atmosphäre im „Earth Song“. Aber das Dreiergespann kann auch, wie in „Summit“, fast steif einherschreiten, als befände es sich auf dem Weg zu einem jener anachronistischen Fürstenhöfe, vor deren Toren sich Bärenfellmützenträger im Stechschritt ablösen. Oder in „Draw the Light“ in eine jenseitige Traumwelt abgleiten, sich intuitiv an die Fersen einer leeren Tonbandstimme heften, die den „Bandwagon“ scheinbar ziellos durch die sterilen Häuserschluchten Manhattans zieht.

Allem Dadaismus zum Trotz chauffiert Moran das Gefährt immer wieder zum Ursprung zurück. Nur klingt sein Stride eben wie ein rasender Sprint, den der dicke Fats Waller zu Lebzeiten keine zehn Sekunden durchgehalten hätte, und seine monkischen Akkorde wie die bewusst in Kauf genommene Beschädigung des Heiligen Grals. Der Zugang des blitzgescheiten Jungen ist ein völlig anderer als der von Alt-Avantgardisten.

Er bemüht nicht das Repertoire, sondern die Ästhetik der Bauhaus-Generation: Etwas Zeitloses schaffen, das doch absolut für den Augenblick steht. Wie Designer vom Schlage eines Walter Gropius, Mies van der Rohe oder andere Bauhaus-Künstler erweist sich der Piano-Designer als Meister der künstlerischen Effizienz. Nie eine Note verschwenden, stets hochkonzentriert, nicht einfach vor sich hinklimpern, um irgendwann den Punkt zu finden.

Jason Moran setzt mit jedem Ton, den er spielt, Punkte und lässt zuweilen auch Flächen frei, indem er einfach stoppt. Innerhalb von 120 Minuten, die der Bayerische Rundfunk für seine Reihe „Jazz auf Reisen“ aufgezeichnet hat (Sendetermin: Freitag, 17, Januar, BR4, 23.05 Uhr), fasst er so ein ganzes Jahrhundert zusammen. Und nimmt sich die Freiheit, dabei gleich einen Plan für die Zukunft zu entwerfen.