Jason Maran and the bandwagon | 02.04.2005

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Die erste Band, die nur sitzt. Doch gemach: Dort auf der Bühne des Neuburger „Birdland“-Jazzclubs verrichtet keine vergreiste Kaffeehaus-Combo ihr laues Nachtwerk. Vier coole Jungs fläzen sich vielmehr deshalb in den Stühlen, weil ihre Musik schlicht Konzentration erfordert. Herumkaspern würde wohl dem eigenen Anspruch von Jason Moran und seinem „Bandwagon“ kaum gerecht werden.

Denn es geht um nicht mehr und nicht weniger als die Aufladung alter Dinge mit neuen Ideen. Um eine Frischzellenkur, die alle Spinnweben aus dem modrigen Haus des Jazz fortbläst, ohne dabei dessen Ecken zu zerstören. Schon vor fast genau zwei Jahren verblüffte der 30-jährige amerikanische Wunderpianist an gleicher Stelle („Neuburg war eine unserer ersten Auftrittsmöglichkeiten in Europa“) mit der Schlüssigkeit seines wagemutigen Konzeptes, das sämtliche Spieltechniken vom Stride bis zum Freejazz assimiliert. Damit sich die Originalität dieser Idee jedoch nicht zu schnell erschöpft, hat sich Moran nun einen Hut auf- und den Gitarristen Marvin Sewell neben seine Sandkastenfreunde Tarus Mateen (Bass) und Nasheet Waits (Drums) gesetzt. Mehr als nur ein Farbtupfer. Mit Sewell kommt der Blues. Und mit ihm verabschiedet sich der letzte Rest von Zweifel am Genius des Leaders.

Sewell sägt, wie er es schon bei Cassandra Wilsons erfolgreicher Verbindung zwischen Jazz und Südstaatenblues getan hat: herrlich scharf, überdreht, fast punkig. Daneben zerlegt Moran mit seiner verblüffenden Stilistik konsequent alle Strukturen. Er schiebt, drückt, presst, quetscht Viertelnoten in die Pausenlöcher, zermalmt alles Beliebige zwischen seinen zehn Fingern. Abraummaterial der Musikgeschichte. Ballast, den endlich einer abwirft und sich damit doch nicht den Rückzug verbaut. Den spirituellen Weg zu den großen Alten, zu Fats Waller, Art Tatum und Monk, aber auch zu den stillen Helden der Avantgarde wie Andrew Hill, Mal Waldron („Fire Waltz“) oder Jackie Byard, Morans Klavierlehrer.

„Er spielte von hier bis hier.“ Jason breitet seine Hände wie Schwingen aus, die eine Spannweite von einem Viertel Meter links und rechts von der Klaviatur besitzen. Was folgt, ist ein glasiges „Body and Soul“ mit einem spröden Gitarrenintro, einem körperreichen E-Bass-Auftritt Mateens und klirrenden Clusterbergen Morans. Akustisches Ambiente. Du glaubst, den Geruch von regennassem Asphalt in der Nase zu spüren, den Duft von schweißigem Parfüm. Man schmeckt salzige Tränen auf der Zunge, abgestandenen Wein. Irgendwas liegt hier in der Luft, verleiht diesen kleinen Noten eine fast mystische, große Gegenständlichkeit.

Es sind bewusst gesetzte Reibungen, dieser schräge, geile, völlig unorthodoxe Ansatz. Soundcollagen vom Tonband, Interviewfetzen, was Jazz ist, war, sein könnte. Darauf setzt Sewell einen simplen Riff, rau, hart, pur: Albert Kings „I play the Blues for you“. Plötzlich tauchen Fetzen von Ravel, Bartok und Public Enemy auf. Oder die völlig abseitige Interpretation von Wes Montgomerys „4 on 6“. Ein pfeilschnelles Ding. Drummer Waits heizt den „Bandwagon“ auf Tempo 140. Kein Tempolimit, kein Gegenverkehr könnte ihn in dem Moment bremsen. Vollgas, alles am Anschlag.

Vier Wunderknaben und ihr Werk, das einfach zerstören muss, um unerwartete, frische, wunderbare Lösungen zu schaffen. Eine grandiose Nabelschau moderner Musik voller Gradlinigkeit, Grazilität und Grandezza. Und das alles im Sitzen.