Dieser Konzertmonat im Birdland hat es wahrlich in sich. Ein internationales Highlight jagt das andere.
Gerade eben gastierte Théo Ceccaldi, Geoff Goodman und Emmett Cohen folgen in Kürze. An diesem Abend ist der franko-amerikanische Ausnahmepianist Jacky Terrasson in Neuburg zu Gast, im Gepäck sein aktuelles Album mit dem Titel „53“, aus dem er aber recht wenig spielt, an seiner Seite eine für seine Bedürfnisse geradezu ideale Begleitband mit dem Kubaner Lukmil Perez am Schlagzeug und dem Franzosen Geraud Portal am Bass.
Terrasson hat sich dafür entschieden, Standards zu interpretieren, was erst einmal ja nichts Besonderes ist. Bei ihm allerdings schon, denn er scheint innerlich vor Energie geradezu zu glühen, fast zu bersten. Mit purer Lust traktiert er die 88 Tasten des Bösendorfer Flügels, fordert das Instrument und auch sich selbst körperlich heraus, ist Grunde nicht zu bändigen. Terrasson ist an diesem Abend ein physisches Naturereignis und sein Programm ist ein musikalisches. Zärtlich und behutsam greift er sich eine dieser wunderbaren Melodien, die von „My Funny Valentine“ zum Beispiel, „Love For Sale“ oder „Over The Rainbow“, nach der Pause „St. James Infirmary“ und sogar „Come Together“ von den Beatles, dreht und wendet sie vorsichtig hin und her. Dann allerdings siegen seine Neugier und seine unbändige Lust an der Dekonstruktion, an der planvollen Zertrümmerung und sein Eifer, auf der Basis des kompositorischen Ablaufplans, den er natürlich jederzeit abrufbar im Kopf hat, Neues zu entwickeln. Was dabei herauskommt, ist kühn und dreist, ja, unverfroren, vielfach geradezu sensationell.
Mit unglaublicher Dynamik bewegt er sich ständig zwischen Windstille und Orkan, zwischen Ebbe und Springflut. Nur einen Gezeitenplan kann man daraus nicht ableiten, denn vieles geschieht völlig unerwartet. Teilweise wirkt er wie entfesselt, stößt gutturale Laute aus, springt während des Spiels von seinem Hocker hoch, greift dem Flügel in die Eingeweide, rast mit überkreuzten Händen über die Tasten, um im nächsten Augenblick abrupt abzubremsen und dabei verschmitzt zu grinsen. Seine beiden Begleiter folgen ihm und seinen eruptiven energetischen Entladungen auf dem Fuß, sorgen für die groovende Abfederung, auf der Terrasson sich austoben kann.
Dass er hinsichtlich seiner Spielkultur und seiner blendenden Technik über jeden Zweifel erhaben ist, versteht sich von selbst, dass er sich selbst – und damit das Publikum im Birdland – in einen derartigen Rauschzustand versetzen würde, war freilich nicht von vorne herein klar. Der Mann hat Temperament, das ist offensichtlich, an diesem Abend aber scheint er regelrecht gepusht zu sein vom eigenen Tun, begierig und süchtig danach, aus den ausgewählten Standards alles herauszuholen, dabei für sich selbst den größtmöglichen Lustgewinn zu erzielen und das Publikum daran teilhaben zu lassen. Wobei eines sicher ist: Wer Augen- und Ohrenzeuge dieses denkwürdigen Abends war, wird dieses Konzert des Jacky Terrasson Trios so schnell ja sowieso nicht vergessen.