Jacky Terrasson Trio | 20.02.2022

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Endlich wieder mal einer, dem das Prädikat „Weltklasse“ vorauseilt. Nicht umsonst sind an diesem stürmischen Sonntagabend viele Fans aus Nah und Fern gekommen, um den Neuburger Hofapothekenkeller bis zur derzeit erlaubten Auslastungsgrenze von 75 Prozent zu frequentieren. Schließlich war Birdland-Chef Manfred Rehm schon seit Jahren hinter Jacky Terrasson her. Als es 2021 tatsächlich zu klappen schien, schob der Lockdown den kühnen Träumen einen vorläufigen Riegel vor. Nun aber das Happyend im Trioformat: Eine über 90-minütige Performance voller Schweiß, Adrenalin, Testosteron und Virtuosität, ein Fest der reinen Improvisationskultur, ein Tastenorkan der ganz speziellen Art, zum Ende hin aber auch eine Überdosis Piano.

Normalerweise agieren Pianisten nur mit zehn Fingern und einem Fuß am Pedal. Jacky Terrasson jedoch mag diese statische, introvertierte Musizierposition ganz und gar nicht. Der in Berlin geborene Franko-Amerikaner, der in Paris aufwuchs und später nach New York ging, arbeitet sich mit seinem gesamten Körper in jeden Song hinein, rutscht permanent auf seinem Hocker herum, steht auf, rudert mit den Ellenbogen und setzt sich wieder, weil er den Tasten so nahe wie möglich sein will. Als wäre dies alles nicht schon genug, scheint seine Stimme synchron zu den Händen zu funktionieren. Ein Brummen, ein Grölen, ein Jubilieren oder ein kraftvoller Schrei. Der Mann lebt die Musik mit Haut und Haaren. Terrasson kann alles: vulkanisch-impulsiv sein, kraftvoll, perkussiv und zugleich sinnlich und zartfühlend. Aber völlig egal, ob das Klavier flüstert, fließt, zittert, bebt oder schreit; jeder Ton trägt ein Ausrufezeichen in sich. Und das Faszinierende dabei ist: Alles passiert manchmal im ein und demselben Song.

Wenn der 53-Jährige die Klaviatur bedient, scheint es mitunter, als würde er mithilfe des Instrumentes sein Bewusstsein erweitern. Mal lebt der Swing-Liebhaber in ihn auf, das süffig perlende eines Oscar Peterson, dann wieder die modale Blockakkord-Fertigkeit eines McCoy Tyner, das flüsternde Balladenspiel eines Bill Evans oder die synkopischen Aberwitzigkeiten eines Thelonious Monk. Jacky Terrasson kennt kein „oder“, entscheidet sich etwa nicht zwischen kulinarisch und sperrig, sondern spielt beides simultan, wie schon seine waghalsig fragmentierte Adaption von „My Funny Valentine“ zeigt. Manchmal brodelt es minutenlang, um dann als Erlösung irgendwann das leicht verfremdete, aber leicht wiederzuerkennende Thema einzubauen, das dann ein zufriedenes Lächeln auf die Gesichter der Birdland-Gäste zaubert. Die giftigen Einschübe kommen bei den Eigenkompositionen „Alma“ und „Mirror“ ebenso dosiert und pointiert wie bei „Love Of Sale“. Dabei assistieren ihm Bassist Geraud Portal und Drummer Lukmil Perez. Ein frech-wuseliges Tandem, das agiert, als wäre es über Bluetooth mit dem Boss verbunden. Beide scheinen förmlich zu erahnen, was Terrasson in diesem speziellen Moment hören will und gerade braucht.

Immer wieder fallen dem Derwisch dabei Zitate ein, mal „Elenor Rigby“ oder „Oh My Darling Clementine“. Doch es sind vor allem die ruhigen Momente wie bei „Summertime“, in denen eine schwüle, dunkle Atmosphäre auftaucht, in der sich die Noten auf einer staubigen Landstraße dahinzuschleppen scheinen, das mild strahlende „Over The Rainbow“ oder das emotionale, hymnische „Smile“ von Charlie Chaplin, während „Caravan“ von Duke Ellingtons durch das quecksilbrige Spiel des Pianisten zum Leuchten kommt. Dennoch fällt nach dem fordernden, heftig beklatschten Konzert eines auf: Wo andere Pausen wirken lassen, setzt Terrasson auf Klangfülle. Eine Note steht bei ihm nicht einfach bloß im Raum, klingt nach und atmet in den Pausen, sondern vervierfacht, verzehnfacht oder verzwanzigfacht sich gar. Der Kraftprotz am Piano lotet die Devianz- und Innovationspotenziale jedes Stückes bis zur Neige aus, obwohl er sich am Ende doch als unverbesserlicher Melodiker entpuppt – auch in der hibbeligen Zugabe „Chameleon“ von Herbie Hancock.