Jack DeJohnette Piano Solo | 06.05.2016

Augsburger Allgemeine | Reinhard Köchl
 

Respekt! 130 Minuten am Stück zu spielen, ohne Pause und völlig allein – für einen 73-Jährigen ist das wirklich beachtlich. Kann sein, dass sich Jack DeJohnette diese exzessive Form der Selbstentblößung bei seinem alten Freund Keith Jarrett abgeschaut hat, in dessen Trio er seit 33 Jahren das Schlagzeug bedient. Doch diesmal, im Neuburger Birdland-Jazzclub, sitzt er selbst am Piano. Wie bitte? Ja doch: Piano! Das Hobby einer Jazzlegende, die mit Miles Davis dessen Jahrhundertwerk „Bitches Brew“ aufnahm und mit John Coltrane, Thelonious Monk, Stan Getz, Sonny Rollins, Chick Corea oder Herbie Hancock spielte?

Natürlich wäre das etwas zu kurz gedacht. Immerhin veröffentlichte DeJohnette schon 1985 ein durchaus ansehnliches Pianosolo-Album. Auch ist bekannt, dass er sich zuhause in Woodstock/New York viel lieber ans Klavier als hinter das Drumset setzt. Und er kann es durchaus, wie die meisten Schlagwerker, die ihren Job weniger als Haudrauf-Rhythmusknechte, sondern mehr als Melodiker an den Sticks verstehen. Für ihn, den weltläufigen, omnipräsenten Sideman, Bandleader und Komponisten geht es jedoch weniger darum, ein neues Kapitel dieses Instrument aufzuschlagen, sondern vielmehr Musik als Mittel zur Meditation zu nutzen.

Der große, hagere Mann versinkt im mucksmäuschenstillen Hofapothekenkeller förmlich in seinen mal sperrigen, mal melancholischen Klangwolken, zelebriert sie erfrischend unroutiniert, gelegentlich pathetisch und manchmal auch ein klein wenig nervös. Er will um keinen Preis perfekt sein, sondern einfach nur der Erzähler von Geschichten. Der alte „Song For World Forgiveness“ von 1980 ist gerade in kriegerischen Zeiten wie diesen so eine Story, die ihm am Herzen liegt, die Liebeserklärung an seine Frau und Muse „Lydia“, das träumerische „Ebony“, der quirlige „Derwish Dance“ oder die Standards „Nowʼs The Time“, „Flamenca Scetches“ und „I Loves You Porgy“ andere.

Vor allem die Arbeit mit Bill Evans hat DeJohnette mehr als alles andere geprägt. Denn gerade in Balladen, die 95 Prozent des Abends ausmachen, offenbart er, dass Ausnahmedrummer oft über eine kaum vermutete Sensibilität verfügen. Jede Note bedarf eines besonders dosierten Anschlags, einer individuellen Dynamik. Kein Millipond zu viel Druck, wenig Pedal. Manchmal hat es den Anschein, als wollten ihm die richtigen Tasten nicht von selbst zufliegen, als müsste er jeden Schritt erst prüfen, um die mühsam konstruierte, fragile Atmosphäre nicht im Keim zu ersticken. Dann gibt es aber auch spielerische Momente, in denen es läuft und die nicht nur ihm in dieser ungewohnten Umgebung ein kleines Lächeln aufs Gesicht zaubern.

Es sind viele interessante, manchmal auch verblüffende Wege, die der amerikanische Schlagzeuger in Neuburg am Flügel anbietet. Keine Revolution in Elfenbein, sondern nur ein persönliches Statement. Im Prinzip tut Jack DeJohnette bloß das, was ihn auch im normalen Künstlerleben von den meisten Kollegen unterscheidet: Er koloriert und schraffiert Klangflächen, sucht und findet ein Ventil für seinen kreativen Output. Diesmal eben mit Hilfe von 88 schwarzweißen Trommeln.