Irvin Mayfield Quintet | 08.02.2002

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Die Sonne strahlt hell und warm durch den Schalltrichter. Sie gleißt förmlich, überzieht das ganze Auditorium mit einer sonderbar energiegeladenen Atmosphäre. Manchmal wirft sie auch Schatten, schickt flirrende Licht-, respektive Soundreflexe auf den Weg, geht voller Pathos unter und schüttet dabei so viel Abendrot aus, wie ein begrenzter menschlicher Horizont überhaupt zu fassen im Stande ist.

Irvin Mayfields Trompete beherrscht dieses poetische Szenario wie kein Zweiter seines Faches seit Miles Davis oder Tom Harrell. Manchmal, wenn der Freak aus New Orleans mit der pendelnden Körpersprache auf der Bühne des „Birdland“-Jazzclubs Neuburg seinem Schweiß treibenden Job nachgeht, dann hat es den Anschein, als präsentiere ein Opernsänger voller Inbrunst eine Koloratur. Mayfield, der bereits bei den Ingolstädter Jazztagen 2000 für großes Aufsehen sorgte, mag sich aber herzlich wenig mit den sterilen, glatten, wohlgefälligen, geordneten Vorgaben der leichten Muse zufrieden geben.

Sein Stil ist dreckig, ruppig, aufbegehrend, kann sich nur schwerlich unterordnen und wirkt oft genug wie ein Widerhaken im Fleisch des traditionsbewussten New Orleans-Jazz, dessen Fundamente sein hoch inspiriertes Quintett wenigstens als Startrampe für seine ausufernden Exkursionen benutzt. Sie tragen die Titel „The Denial“ oder „The Obsession“, handeln meist von Beziehungskisten und klingen in aller Regel auch so: Gute wie weniger gute, von der Wolke-Sieben-Variante bis zur Horrorvision.

Aaron Fletschers akkurates Tenorsax bläst dabei gewaltige Löcher in die heile Welt des Mainstream, schlägt Schneisen mit einem Ton, der die Schärfe einer Machete besitzt. Dazu wimmert Mayfield wie ein weidwundes Tier, während im Hintergrund unerbittlich Edwin Livingstons Bass die Sekunden herunter zählt. Pianist Richard Johnson lässt seine Finger irrwitzig übers Elfenbein tanzen, hypnotische, kreiselnde, repetitive Botschaften morsen. Und erst der Drummer: Jaz „The Animal“ Sawyer trommelt nicht etwa, er klöppelt. Aber derart virtuos, subtil, feinnervig, dynamisch, dass es den Anschein erweckt, als würden statt zwei Händen und Beinen derer zehn die einzelnen Elemente der Schießbude bearbeiten.

Das Mit- und Gegeneinander von Trompete, Sax, Piano, Bass und Klavier wirkt fast wie ein moderner Hummelflug durch die Sümpfe des Mississippi-Deltas. Alles ständig in Aufruhr, stets am Limit, ekstatisch, sensationell. Nach der dritten Zugabe, dem fantastischen „Mo Better Blues“, fleht Mayfield lachend und erschöpft das restlos begeisterte Publikum um Gnade: „Wir können doch nicht bis Morgen früh weiter spielen!“

Warum eigentlich nicht? Wer weiß schon, ob es Morgen überhaupt noch bessere Musik als diese geben wird?