Wieder so ein typischer Fall von Mißverständnis. Blonde, zerbrechlich wirkende, junge Dame an der Trompete – mancher assoziiert dies nun mal mit weicher, sanfter, eben typisch weiblicher Musik. Oder besser: mit unkomplizierter, problemloser Hörbarkeit.
Stattdessen die Realität im Neuburger „Birdland“ Jazzclub: harte, schroffe Soundcollagen, lose Skalenfolgen, kontrapunktische Verwinkelungen, disharmonische Strukturen, ungerade und doch swingende Rhythmen. Ein Sammelsurium des Modern Jazz, kredenzt von Ingrid Jensen, die keines der gängigen Klischees verkörpern will und auch mit den Begleitumständen ihrer Darbietung leben kann. In der Pause verließen mehrere Besucher den zuvor gut gefüllten Keller unter der Hofapotheke und mokierten sich über die unerwartet schwere und deshalb vermeintlich auch schlechte Kost. Künstlerpech!
Die 30jährige Kanadierin kennt derartige Einwände, seit sie Anfang der 90er urplötzlich in der New Yorker Szene auftauchte und kräftig an der (männlich dominierten) Hackordnung in ihrem Fach „Trompete“ rüttelte. Mit einem breiten Kreuz ausgestattet, behauptete sie sich jedoch, allen Widerständen zum Trotz, und heimst heute Auszeichnungen wie den „Best Newcomer Award“ sowie glänzende Kritiken in Serie ein.
Die wahre Reputation eines Jazzmusiker ergibt sich freilich immer aus der Qualität seiner Begleiter. Bei Ingrid Jensen waren dies drei noch relativ unbekannte Hochkaräter aus der Riege der „Young Lions“, um deren Gunst so manch verblaßte US-Berühmtheit bislang vergeblich buhlte. Etwa der versonnen konstruierende Pianist George Colligan, dessen dunkle Harmonien anregende Kontraste zur Notenfülle boten, die sich aus dem Horn der Leaderin ergoß. Oder der wuchtige Großtöner Dwayne Burno am Kontrabaß, auf dessen stabile Linien sich einfach jeder gespielte Ton stützen kann.
Die mithin größte Überraschung bildete allerdings der virtuose Schlagzeuger Howard Curtis, ein phantasievoller Melodiker im bester Chico-Hamilton-Tradition. Ohne seine farbigen Drumfiguren hätte Jensens kraftvolle Großstadtpoesie zweifellos an Prägnanz verloren. Dank Curtis` Mitwirkung konnte sich die jüngste Professorin des Bruckner-Konservatoriums in Wien nach Herzenslust entfalten. Ihre spektakuläre Technik, pentatonische Leitern und harmonische Intervalle miteinander zu koppeln, vermittelt einen Hauch des Geheimnisvollen.
Ingrid Jensen blies ohne Zirkularatmung und doch mit erstaunlich großem Umfang, wie in „Woodcarvings“ oder dem lyrischen „Fallin`“. So rauh und schroff sie auch intonieren mochte, ihr Sound besaß zu keiner Sekunde einen irgendwie maskulin gearteten Hauch, sondern eher den eines selbstbewußten Virtuosen, der mit seiner Botschaft einfach unvoreingenommen Gehör finden möchte. Ob Jensen das aktuelle Repertoire dabei hilft, darf nach den oben geschilderten Publikumsreaktion leise bezweifelt werden. Doch der einfachste Weg entpuppt sich bekanntlich nur ganz selten als der zufriedenstellende