Hugo Siegmeth Ensemble – Passacaglia | 01.10.2010

Neuburger Rundschau | Barbara Sagel
 

Spätestens seit Jaques Loussiers erstem „Play Bach“-Album, das 1959 veröffentlicht wurde, ist der Musikwelt klar, dass Jazz- und Barockmusik sich auf das Angenehmste ergänzen können. Seither gab und gibt es eine Fülle solcher Cross-Over-Projekte, worunter das Programm „Passacaglia“ des Münchner Jazz-Musikers Hugo Siegmeth, das am Wochenende anlässlich der diesjährigen Neuburger Barock-Konzerte im Jazzclub Birdland zu hören war, ein wunderschönes und bemerkenswertes ist. Anders als in den Anfängen der Verschmelzung beider Stile, als man sich ganz von der Barockseite und vorwiegend durch die rhythmische Interpretation dem Jazz genähert hat, steht bei Hugo Siegmeth eine bestimmte Ausdrucks- und Kompositionsform des Barock im Mittelpunkt, der er sich sowohl von der zeitgenössischen als auch der historischen Seite widmet. Die Passacaglia mit ihrer nahen Verwandten, der Chaconne, ist es, derer er sich früher schon in seiner Komposition „Treat It Gentle“ und im Rahmen der Neuburger Barockkonzerte wieder angenommen hat, um den Barock zu verjazzen und andererseits den Jazz kompositorisch zu barockisieren. Dazu hat der Saxofonist, Klarinettist und Komponist Siegmeth ein Ensemble zusammengestellt, dessen Mitglieder ebenfalls von beiden stilistischen Seiten zum Barock-Jazz kommen. So sind Max Grosch an der Violine und Stefan Schmid am Piano ausgewiesene Jazzmusiker, Cellist Zurab Chamougia dagegen, als Mitglied des Georgischen Kammerorchesters Ingolstadt, wohl als Vertreter der Barockmusik zu betrachten. Doch bei aller Theorie über Passacaglia-typischen „Basso ostinato“, also die sich wiederholende Basslinie, auf der das Thema harmonisch aufbaut, bei allem Nachdenken über die genremäßige Herkunft der Musiker; was im Birdland geboten wurde war einfach wunderbare Musik, anspruchsvolle Musik, seelenvolle Musik, spannende Musik, witzige Musik, kein Jazz, kein Barock. Musik, gespielt von Leuten, die erstens ihr Handwerk enorm gut verstehen, zweitens große Spielfreude ausstrahlen und denen es drittens wahrscheinlich weitgehend egal ist, welchem Genre das gerade gespielte wohl zuzuordnen ist. So entlockte Hugo Siegmeth neben dem Sopransaxofon auch der Bassklarinette, vor allem aber dem Tenorsaxofon Töne, die dem Ohr zuweilen hauchzart und gleichzeitig kraftvoll, (zwei Begriffe, die man sich vielleicht sonst nicht als Attribute ein und desselben Tons vorstellen kann), schmeichelten und in ihrer tonalen Abfolge und Gruppierung immer hoch interessant waren. Werke von Händel und Bach, von Webern oder Ligeti (diese Komponisten des 19. und 20. Jahrhunderts hatten sich auch mit der Passacaglia befasst) mischten sich bruchlos mit Kompositionen Hugo Siegmeths oder Stefan Schmids. Letzterer legte bei seinem Stück „Twelve In A Row“ ein besonders beeindruckendes Intro hin, woraus in der linken Hand nach rasanten Takten eine swingende Walking-Bass-Line erwuchs, der sich das Cello anschloss. Bassklarinette, Geige und Piano legten zunächst in spannungsreichem Unisono das reizvolle Thema darüber, ehe die Instrumente über einen scheinbar lose geordneten Pianissimopart allmählich einen gemeinsamen Puls aufnehmend in rasante Fahrt gerieten. Ein Viervierteltakt, eher die Ausnahme an diesem Abend, an dem eine gewisse Neigung zu fünfer Takten deutlich wurde, sich einmal gar zu einem georgischen fünf Achtel-Rhythmus auswuchs, den Cellist Zurab Chamougia sehr temperamentvoll auf der georgischen Trommel vorgab. Und dies war nicht der einzige Ausflug nach Osteuropa. In einer Bearbeitung eines Volksliedes aus dem Banat, der Heimat Siegmeths, erfreute Chamougia das Publikum mit einem seiner nicht minder temperamentvollen Cellosoli. Das virtuose Spiel des Geigers Max Grosch, der in der Lautstärke gerne noch etwas dominanter hätte sein dürfen, ließ ebenfalls hier und da eine sehnsuchtsvolle Brise osteuropäischer Klänge heranwehen. Sowohl solistisch als auch säuselnd, schmeichelnd begleitend, hin und wieder die Bassfigur aufgreifend, zupfend und streichend wirkte Grosch mit seinem Instrument als ideales Bindeglied zwischen den Genres. Barock-Jazz, Jazz-Barock?? Ein tolles Konzert, das übrigens vom Bayerischen Rundfunk mitgeschnitten wurde und am 25. Dezember um 23:05 Uhr in Ausschnitten auf BR-Klassik zur hören sein wird.