Hülsmann – Wogram – Dell | 25.06.2021

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Die Erdbeeren in „Strawberry Fields Forever“ sind nicht mehr rot, sondern grau, „Yesterday“ irrt durch die dunkle Anonymität einer Großstadt während der Pandemie und müsste eigentlich „Tomorrow“ heißen, während „Canʼt Buy Me Love“ unbeholfen von Dur zu Moll und wieder zurück stolpert. Der Korridor der Beatles, diese knallbunte Welt aus glückseligen Harmonien und fußwippenden Rhythmen, hat sich unter der Deutungshoheit der Jazzmusiker Julia Hülsmann, Nils Wogram und Christopher Dell verändert. Oder besser: aktualisiert. Drei, die in Deutschland zum absoluten Spitzenpersonal an ihren Instrumenten gehören, allesamt ausgemachte Fans der „Fab Four“ sind und diese omnipräsenten, wunderbar form- und dehnbaren Songs auf eine Gefühlsebene zwischen Hoffnung und Bangen hieven, beschließen mit einem spektakulären Konzert das „Late“-Programm des Birdland-Jazzclubs in Neuburg vor einem begeisterten – fast wollte man auch sagen: ausverkauften – Haus, trotz oder gerade wegen der immer noch vorhandenen Corona-Beschränkungen.

Duplizität der Ereignisse: Hülsmann, Wogram und Dell kamen auf die Idee, das darbende Jazzpublikum nach dem ersten Lockdown im Sommer 2020 in der Hamburger Elbphilharmonie mit einem Beatles-Programm willkommen zu heißen. Eine ähnliche Situation ergibt sich nun in Neuburg, jenem Club, den alle drei von früheren Begegnungen her sehr schätzen. Hochstimmung allerorten, draußen schwenkt das Wetter endlich wieder auf Sommer um und ein paar mittelalterlich Gewandtete wollen am vermeintlichen Eröffnungstag des Schlossfestes beharrlich die vor Monaten erfolgte Absage nicht wahrhaben. Manches wirkt dabei wie das krampfhafte Herbeizwingen der guten, alten Zeiten. Oder ist es nur ein trügerisches Zwischenhoch auf dem Weg in ein neues Tal sozialer Isolation?

Aber mit den Beatles kann eigentlich nichts schiefgehen. Doch so hat man ihre Musik noch nie gehört! „Ah, look at all the lonely people“, so geht es gleich beziehungsreich los mit „Eleanor Rigby“. Dann „Julia“: Ein seltsames Liedchen auf verschlungenen, zentrifugalen, dornenumrankten Wegen. Aus Ohrwürmern werden bisweilen Bremsklötze, Hülsmann, Dell und Wogram setzen die ewigen Melodien von John Lennon und Paul McCartney einem permanenten improvisatorischen Stresstest aus. Es sind drei fabelhafte Solisten, die ins musikalische Erbgut ihres Publikums eingreifen und manche Sequenz ganz schön in Schieflage bringen. Nur ein Stück lassen sie weitgehend unberührt: das wunderschöne „Blackbird“ erstrahlt leicht und luftig in mattem Licht, „weil dieser Song einfach so stehen bleiben muss“, wie Pianistin Hülsmann ergänzt.

Ihr Partner Christopher Dell hat gleichfalls Spaß an diesen Vexierspielen. Seine Fähigkeiten am Vibrafon gleichen denen eines fokussierten Schriftstellers: Da sitzt jedes Komma, jeder Punkt, jeder noch so gedämpfte, geschwind gesetzte Schlag. Nils Wograms Posaunen-Solostück „A Humbled Man“ zu Ehren seines Vorbilds Albert Mangelsdorff ist schwere, aber hochwertige Kost, gerade wegen dieser zwischen Mundstück und Zunge erzeugten Doppeltöne namens Multiphonics. Die Klasse von Julia Hülsmann offenbart sich vor allem bei ihrer zauberhaften Minimierung des Bombast-Stückes „The Long And Winding Road“ auf ein kleines, karges Notenkonstrukt am Klavier.

Die Zugabe mit „Come Together“ könnte kaum beziehungsreicher sein. Da marschiert die Linke groovend auf dem Piano, während die Posaune bluesige Riff-Aerosole in die Luft des Hofapothekenkellers drückt (die ja dank eines eigenen Systems alles zwölf Minuten ausgetauscht wird) und das Vibrafon die Melodie wie eine feinkörnige Dusche darüber prasseln lässt. Musiker dürfen wieder vor Menschen spielen, alle sind zusammen. Extrem intensiv und hoffentlich mit einer Fortsetzung im September!