Howard Alden – Stephan Holstein Quartet | 30.09.2022

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Ein Geist spielt mit. Tatsächlich? Manchmal hat man an diesem Abend im Neuburger Birdland-Jazzclub durchaus den Eindruck. Da stehen beziehungsweise sitzen vier Männer auf der Bühne, verwirklichen ein Projekt, dessen Idee ursprünglich von einem Toten stammt, immer wieder – fast bei jedem Song – fällt der Name „Helmut“, und manchmal klingt sogar der amerikanische Stargast wie sein im Februar 2020 verstorbener Regensburger Freund. Tatsächlich hält Howard Alden eine siebensaitige Benedetto-Gitarre in Händen, die frappierend an Helmut Nieberle erinnert, der sich zu Lebzeiten ebenfalls für diese außergewöhnliche Erweiterung seines Klangspektrums entschieden hatte. Daneben beleben der Klarinettist und Tenorsaxofonist Stephan Holstein, der Bassist Wolfgang Kriener und der Schlagzeuger Scotty Gottwald, allesamt Nieberles Leib- und Magen-Mitmusiker, den „Spirit“ des alten Kumpels. Ist das Ganze also womöglich ein Helmut-Nieberle-Gedenkkonzert? Zum Glück doch nicht so ganz!

Der Wunsch, die Songs des populären Trompeters Louis Armstrong in ein trompetenloses Quartett zu gießen, geht auf den charmanten, empathischen und grandiosen Gitarristen zurück. Nun setzen ihn Alden, Holstein, Kriener und Gottwald posthum in die Tat um – gut gelaunt und nicht etwa gedrückt, spielfreudig, risikobereit und ganz im Sinne Nieberles, der Titel wie den „Wild Man Blues“ aus „Satchmos“ Hot Five- und Hot Seven-Ära sowie „Cʼest Si Bon“ oder „Struttinʼ With Some Barbecue“ über alles liebte. Sie bleiben stets nah am Original, dezent federnd swingend, ein Bad im Meer der bunten Harmonien nehmend, der liedhaften Gassenhauer, die viele von schon irgendwo schon einmal gehört haben. Dass das Armstrong-Revival aber nicht zu einem eindimensionalen Abspulen von Hits gerät, sondern einen großen Umgriff in der facettenreichen Karriere des vielleicht populärsten Jazzmusikers aller Zeiten bietet, ist das eigentliche Verdienst dieser Combo. Die vier geben sich allen Raum, um zu glänzen, und vermeiden es tunlichst, die anderen in Grund und Boden zu spielen. Hier geht es nur um das Ensemble, seinen Gesamtklang und die möglichst optimale Entfaltung der einzelnen Evergreens. Jedes Solo dient als Mittel zum Zweck. Etwa bei Bassist Wolfgang Kriener, der seine groovenden Basslinien auf ungewöhnliche Weise mit seinem Unisono-Scatgesang verknüpft und dadurch eine anregende Klangfarbe kreiert. Oder der feine, auf Zehenspitzen trommelnde Scotty Gottwald, der fast das gesamte Konzert hindurch mit Besen hantiert.

Hektik? Nicht mit dieser Band! Sie baut jedes Thema entspannt auf, verziert es liebevoll und zelebriert es mit maximalem Genuss, auch wenn nicht jeder Break punktgenau sitzt. Stephan Holstein offeriert zum wiederholten Mal seine gewachsenen Fähigkeiten, auf dem Saxofon Geschichten von ähnlicher Tiefe zu erzählen, wie ihm dies schon seit Jahrzehnten auf der Klarinette gelingt. Und Howard Alden, dieser vielfach dekorierte und mit Lorbeeren überhäufte Gitarrero, überrascht seine Mitstreiter und auch sich immer wieder mit schier verhexten Grifffolgen, die federleicht klingen, obwohl andere sich dabei die Finger brechen würden. Im Gegensatz dazu stehen seine Gesangsintermezzi bei „Cheek To Cheek“ oder „Up The Lazy River“, die ihn – gelinde gesagt – auf sehr, sehr, sehr dünnes Eis führen.

Dennoch bleiben vor allem die kleinen, kongenialen Zwiegespräche im Gedächtnis. Das Intro, das nur der shuffelnde Gottwald und der auf einer Harmoniewelle surfende Holstein zu „Struttinʼ…“ kredenzen, die niemals geschwätzigen Dialoge der Saiten von Alden und Kriener im lässig dahinschlendernden Swing-Modus, die jedes Ohr automatisch auf Empfang stellen. Oder Nieberles „The Jazz Guitar Player“ und „October Mist“ als Zugaben, vorgetragen mit der Gelöstheit von Stride-Pianisten: hüpfend, anregend und entspannend zugleich. Und wer am Schluss tatsächlich eine zweite Gitarre zu hören glaubt, bei dem hat der Zauber dieser Musik exakt die richtige Wirkung entfaltet.