Henning Sieverts Quintet | 11.03.2005

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Wo steckt denn nun dieses verdammte C? Möglicherweise kann man dem Rätsel durch eine unfreiwillige Szene Mitte des ersten Sets auf die Schliche kommen. Die Band will gerade anheben, lässt kleine Nebel aus den Instrumenten aufsteigen, da erlischt urplötzlich das Licht: totaler Stromausfall im Neuburger „Birdland“. Es ist stockdunkel, niemand kann die Hand vor Augen sehen.

Erst ein Raunen, dann ein Kichern. Bis aus der Tiefe des Raumes ein Bass erklingt; leise, durchdringend, einsam, konsequent. Henning Sieverts spielt, als stünde er im Spotlight, als könnte er seinen Sturz in das schwarze Loch durch gleichmäßige Flügelschläge verlangsamen. Blind. Es ist eine wunderschöne, verhangene Melodie, die dem hölzernen Korpus entschwebt. Die Leute haben längst aufgehört zu glucksen, lauschen gebannt in die seltsame Finsternis hinein, bis der gespenstische Schein der von der Kasse hereingehaltenen Stehlampe nach zwei Minuten unsichtbarer Schwerelosigkeit das Versteck der Band niederreißt. Die intoniert dann – nomen est omen – einen Titel namens „Night Train“. Und auch das C scheint mit einem Mal sicht-, besser gesagt hörbar zu sein.

Doch gemach: Obwohl Sieverts` aktuelles Programm den Namen „Hidden C“ trägt, hat es in Wirklichkeit kaum etwas mit verborgenen Noten zu tun. Der Münchner Bassist und BR-Jazz-Moderator schrieb die Stücke für seine gleichnamige CD vielmehr auf der Insel Hiddensee vor Rügen; ein Wortspiel also. Trotzdem stehen für ein verblüffendes Bekenntnis zum Schönklang, zum weichen Spiel. Wobei weich mitnichten ein Synonym für seicht sein muss, sondern im Gegenteil für tiefgründig, kontemplativ, nachdenklich und doch klar. Ergo präsentiert Sieverts ein weiches, schönes und zugleich abgründiges Konzert, bei dem er die Fallstricke des Smooth Jazz intelligent umgeht und seine impressionistische Kraft aus einem verhaltenen und umso intensiveren Glühen zieht.

Zweieinhalb Stunden verlaufen wie ein gleichmäßiger Fluss. Figuren, Bilder, Miniaturen, Stimmungen. Die Sinne wandern durch eine Galerie impressionistischer Bilder. Doch anstatt jedes einzelne Bild fotografisch festzuhalten, ergibt sich ein umfassendes Grundgefühl. „Hidden C“ funktioniert im klassischen Sinne wie eine Suite: Strenge und Sanftheit ergänzen einander. Genau genommen ist es konventioneller Mainstreamjazz. Trotzdem gehorcht die Musik dem Geheimnis, dass sie eigentlich nichts verändert und doch alles wundersam verwandelt.

Die Besetzungen wechseln ständig, neue Trios kreieren neue Klangfarben. Neben Sieverts erweist sich der australische Gitarrist Peter O’Mara als das größte Chamäleon; ein Wandler zwischen lyrisch und kraftvoll, akustisch und verstärkt, Blues und angedeuteten Rockmetren. Saxofonist Matthias Nadolny bläst, als habe er ein feines Sandpapier unter die Zunge gelegt: leicht angeraut, luftig, wie der heiße Atem des Mistral. Wunderbar harmonisch komplementär agiert der italienische Pianist Glauco Venier und Bastian Jütte am Schlagzeug fächert seine Tempi so geschickt, dass selbst ein mittelalterlich angehauchtes Stück wie „Le Chien du Tambour“ noch ganz dezent, aber unwiderstehlich dahin groovt.

Henning Sieverts weiß genau, welchen Klang er wie stark auftragen muss, um den gewünschten Effekt zu erzielen. Er lässt jedem Ton Zeit, spielt keinen zuviel. Sein fast schon zärtlicher Umgang mit dem Bass, aber auch dem Cello, öffnet die Tür zu einer andere Dimension. Dort, wo Jazz noch als Musik der Erfinder gilt. Und sich auch das schönste C versteckt haben könnte.