Harald Rüschenbaum Jazz Orchestra | 17.03.2005

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

(Audi Forum Ingolstadt)

Als der kleine, grauhaarige Mann die Bühne betritt, hält er die Sonne in Händen. Sie besitzt die Form einer Mundharmonika, strahlt in sanft glimmenden Tönen und wärmt die Menschen im Ingolstädter Audi Forum mindestens genauso intensiv wie der zurückliegende Frühlingstag.

Fast scheint es, als hätten die Leute nur auf so etwas wie Bruno de Filippi gewartet. Auf diesen schnörkellosen, durchdringenden, leicht angerauten Ton ohne geckenhaftes Vibrato, der ein bisschen nach Bluesharp schmeckt, aber nie schmutzig daherkommt. Auf diese seltsam sanfte südländische Aura, diese hingehauchte, aber doch intensive Meeresbrise, diesen weisen erzählerischen Gestus. Nur ganz wenige Interpreten in der strengen, auf musikalische Muskelspiele fixierten Welt des Jazz können derart unvermittelt Wohlbehagen bei den Menschen auslösen. Der smarte Signore aus Milano schafft es, ohne sich anzubiedern oder plumpen Schönklang abzuliefern. Seine Mundharmonika geht unspektakuläre, aber tief verschlungene Wege, nährt sich aus dem Wurzelwerk jahrzehntelanger Erfahrungen an der Seite Frank Sinatras, Louis Armstrongs oder Paolo Contes und pendelt unaufhörlich zwischen der Abenteueraura New Yorks und der Schwerelosigkeit der Lombardei.

Im ausverkauften Museum Mobile klatschen und pfeifen sie, als würde gerade einer der Big Names seine egomanische Show herunterreißen. Dabei ist Bruno eher der klassische Anti-Star und allenfalls eingefleischten Fans des Jazz ein Begriff. Ein stilles, bescheidenes Phänomen, das eigentlich mit Ruhm hätte überschüttet werden müssen, es aber nie anders wollte. Gerade deswegen wird er nicht nur von den Musikern des Jazz Orchestras von Harald Rüschenbaum, die in als Premiumsolisten nach Ingolstadt mitgebracht haben, hoch geachtet. Denn wenn de Filippi und dieser formidable Klangkörper aufeinandertreffen, dann setzt eine wundersame Wechselwirkung ein. Es fetzt, es kracht, es donnert, die Hörner rauschen offenbar auf noch schärferer Kante als zuvor durch die Sätze, öffnen auch die letzten Ventile, während die Harp elegant und leichtfüßig dazwischen tänzelt.

Mit einer solchen Big Band im Rücken ließen sich veritable, gemeinsame Höhenflüge planen. Diesmal sind es aber leider nur eine Hand voll: Vor der Pause zwei Songs, bei denen de Filippi einsteigt, danach noch mal zwei mit seinem zweiten Instrument, der Gitarre, plus die Zugabe „On green Dolphin Street“. Den Rest bestreiten Rüschenbaum und seine in Adrenalin gebadeten Bläser im Alleingang. Allemal ein Erlebnis für sich. Etwa wenn die Kollegen an den Saxofonen, Posaunen und Trompeten ihr gesamtes Luftpotenzial bündeln, es mit Hilfe der Zirkularatmung zu einer großen Wolke aufpumpen, auf der dann der stets interessante Altsaxofonist Evan Tate wie ein Prinz mit einem Solo auf „Stella by Starlight“ einher schreiten kann. Oder wenn sich der Pfaffenhofener Tenorsaxofonist Christoph Hörmann frisch, unverkrampft und zupackend John Coltranes „Lazy Bird“ nähert.

Ein Ohrenschmaus folgt dem anderen: Die coolen Posaunenlinien des Altmeisters Hermann Breuer, die klar strukturierte, moderne Version von Lyle Mays „FM“, bei der sich das Orchester in einen funky groovenden Monstertruck verwandelt, das fesselnde „Groove Merchant“ von Thad Jones und natürlich „Mastermind“ Harald Rüschenbaum, der das gesamte Rhythmusspektrum von subtil streichelnd bis wuchtig treibend mit dem Händchen eines erfahrenen Cocktailmixers einstreut. Über allem thront jedoch Pianist Christian Elsässer. Ein Riesentalent mit Esprit, Leidenschaft und Virtuosität an den Tasten und ein noch viel größeres als Arrangeur. Zusammen mit dem ewigen Geheimtipp Bruno de Filippi die Entdeckung eines außergewöhnlich persönlichen Abends.