Heinz Sauer Trio | 09.12.2000

Donaukurier | Reinhard Köchl
 

Konzerte mit Heinz Sauer sind anders. Keine relaxten Happenings mit fortlaufenden Wiedererkennungseffekten, keine Veranstaltungen, bei denen Musiker zeigen, was sie geprobt haben, keine nostalgischen Swing-Kaffeefahrten und auch keine destruktiven Freejazz-Merkwürdigkeiten.

Der Mann mit dem Tenorsaxofon geht einfach auf die Bühne und lässt sich fallen. Mitten hinein in die Musik, ohne Netz, immer volles Risiko. Ob er dabei ins vogelfreie Gleiten gerät oder aber einen Totalabsturz erleidet, weiß niemand. Zum Teil hängt dies von Partnern wie dem US-Pianisten Bob Degen oder dem Bassisten Stephan Schmolck ab, die ihm bei seinem jüngsten Gastspiel im Neuburger „Birdland“-Jazzclub jede Menge Aufwind schenken, dessen abenteuerliche Kapriolen und Purzelbäume immer wieder stabilisieren. Doch Richtung, Tempo und Intensität gibt einzig und allein er selbst vor: Heinz Sauer, der letzte Abenteurer des deutschen Jazz.

Ein zeitloses, 67 Jahres junges Unikum, eine Ausnahmeerscheinung, schon seit den Tagen des legendären Quintetts von Albert Mangelsdorff, dem Flaggschiff der nationalen Avantgarde. Immer mehr Menschen halten Sauer sogar für den Besten seines Faches in der Republik, und dies macht, bei Licht betrachtet, durchaus Sinn.

So viel Wärme, so viel Menschlichkeit, so viele Fragen, Klagen, Schreie, ein Farbkasten aus Tönen, die fast wolllüstige Begierde, Themen zu zerstückeln und sie in fremdartiger Gestalt wieder zusammen zu setzen, der Mut zur Verletzlichkeit, zur radikalen Öffnung seelischer Abgründe und Gefühle: all dies offenbart sein Tenorsaxofon, das mehr transportiert, als die meisten Bücher, Filme und Songs.

Sauer pendelt sich wie eine tickende Wanduhr in den Rhythmus ein. Vorn übergebeugt steht er da, so als wolle er den nächsten sich auftuenden Spalt in eine unbekannte Dimension auf keinen Fall verpassen. Wenn seine eruptiven Entladungen durchs Horn fließen, bäumt sich der hagere Körper auf, als würde er von Stromstößen gepeitscht. Sein Credo: Struktur, Formstrenge und die Magie des Augenblicks. Niemals nur bloße Noten herunterbeten. Das Trio als direktes Erzählmoment. Gehobenes Ohrenkino mit einem herausragenden Hauptdarsteller, das nicht nur die Musiker, sondern auch das Publikum zur kompromisslosen Öffnung zwingt.

Auf meditative Titel mit gleichförmigen Pianophrasen wie den Blues „Roses are black“ folgen ergreifende Balladen („Don`t Explain“) oder schwerelose Klangexperimente mit fein dosiertem Bass-Sequenzer („Welcome to what you think you hear“). Dazwischen immer wieder der allgegenwärtige Monk. Sauers nie versiegender Dauer-Inspirationsquell für musikalisches Querdenken mit großartigen Titeln wie „Evidence“ oder dem dunkel-mystischen „Round Midnight“.

Freilich: Dass einmal mehr zu Heinz Sauer (nicht nur in Neuburg) allenfalls eine Handvoll Menschen kamen, die mit jedem Ton dieses „Privatkonzertes“ ihren emotionalen Akku für Wochen aufladen könnten, gehört wohl schon zum traurigen Normalfall. Denn oberflächliches Konsumieren steht längst höher im Kurs, als bloßes Hören. Daran krankt der Jazz.