Heinz Sauer Trio | 19.01.1996

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Die Sphinx der deutschen Jazzszene heißt Heinz Sauer. Kein Künstler hat diese Musikform hierzulande mehr geprägt, als der nunmehr 63jährige Frankfurter. Seit den Tagen der legendären Albert- Mangelsdorff-Combo schlägt der Tenorsaxophonist ohne Unterlaß eine völlig eigenständige Schneise zwischen Tradition und Erneuerung. Daß sein Name trotzdem auf allen internationalen Ranglisten fehlt, obwohl seine Fähigkeiten unzweifelhaft das Prädikat „Weltklasse“ verdienen, liegt vielleicht auch an Sauers fast feindlicher Einstellung zum Business.

Dessen anbiedernde Gesetzmäßigkeiten mit all den vielen Schulterklopfern verabscheut der Eigenbrötler nämlich über alle Maßen. Da sucht der skurille Soundkonstrukteur schon lieber die Nähe von echten Freunden, wie zum Beispiel denen im Neuburger Birdland-Jazzclub. Seit 1962 kennt man sich schon. Damals durfte Sauer im Verbund mit seinem Männerfreund Mangelsdorff die inzwischen fast 40jährige Jazzgeschichte in der Ottheinrichstadt mit einem aufsehenerregenden Konzert im Stadttheater einläuten. Der Unterschied zum jüngsten Gastspiel am vergangenen Freitag liegt allenfalls in der Besetzung und in der Jahreszahl; denn einen Heinz Sauer verbiegen zu wollen, hieße sämtliche Saxophone aus Harlem zu entfernen.

Das kurzfristig zusammengestellte Trio mit dem Pianisten Peter Reiter und dem Kontrabassisten Stephan Schmolck, der zudem klug dosiert einen Soundprocessor einsetzte, erwies sich als perfekter Energieleiter für die vielen musikalischen Atome. Nichts driftete auseinander, nicht blieb im luftleeren Raum stehen. Es herrschte eine selten erlebte Kultur des Hinhörens, des gegenseitigen Erahnens, ein Einverständnis, in dem Konsens nicht im Widerspruch zum unverminderten persönlichen Ausdruck steht.

Gleichberechtigter Bestandteil dieses Mikrokosmos: das Tenorsax von Heinz Sauer. Manchmal, zum Beispiel bei der Billie-Holiday-Komposition „Don`t explain“ oder dem eigenen Titel „The Narrator“, klingt sein Horn, als wolle er innerhalb eines einzigen Atemzuges, alles, was in ihm steckt, umreißen. Seine Vorstellung von Jazz, die emotionale und intellektuelle. Oder seinen Tonraum. Für den Hessen bedeutet dies keinesfalls, alle Töne wirklich zu spielen. Er deutet nur an, was zu sagen ist und läßt weg, was verzichtbar erscheint. In Sauers Spiel feiert eine alte Tugend des Jazz Auferstehung: Lakonie, keine Licks, keine Formalitäten, kein Repertoire- und Bildungsballast. Dafür Melodie, Ausdruck und Formstrenge.

Das Frappierendste an diesem Musiker ist jedoch sein einzigartiger, manchmal an Archie Shepp erinnernder Ton im Überblasbereich, im Jazz normalerweise ein Ausdruck von Ekstase oder das von vielen so gehaßte Free-Chaos. Doch wann hat man je so beiläufige, gläsern spröde, hauchzarte, verlorene, menschliche Klänge, so viele heisere, leise, dringliche, in fließende Bewegungen ohne Eile übergehende Fragen, wie bei Heinz Sauer gehört? Ein Konzertereignis, das zwar kaum den Geschmack der breiten Masse bedient, aber unbedingt zu den Birdland-Sternstunden der 90er-Jahre gezählt werden muß.