Harald Rüschenbaum – Annette Bolz – Till Martin | 07.01.1996

Neuburger Rundschau | Reinhard Köchl
 

Harald Rüschenbaum präsentiert Jazztalente im Birdland

Dem Nachwuchs eine Chance! In der vitalen bayerischen Jazzszene eignet sich wohl niemand besser, diesem hehren Vorsatz tatsächlich Leben einzuhauchen, als der Münchner Schlagzeug-Guru und Bigband-Enthusiast Harald Rüschenbaum. Und weil es schon zur guten Tradition gehört, daß Rüschenbaum zum Start einer Jazzsaison in Neuburg immer wieder unbekannte, vielversprechende Talente ins Rampenlicht rückt, sind dort alljährlich in der ersten Januarwoche Überraschungen auf hohem Niveau garantiert.

Natürlich machte da auch das Eröffnungskonzert am vergangenen Freitag im bis auf den letzten Platz besetzten Keller unter der Hofapotheke keine Ausnahme. Nach Post-Bop-Experimenten sowie russischem Mainstream zauberte der Charmeuer, Entertainer und Musiker mit den charismatischen Fähigkeiten heuer eine unbekannte Vokalistin sowie einen jungen Tenorsaxophonisten aus seinem unerschöpflichen Fundus hervor. Der 26jährigen Freiburgerin Annette Bolz sowie dem 25jährigen Bamberger Till Martin gehören in der Tat die Zukunft, wenn sie sich nur durch die extrem hohen Hürden und die enormen Widrigkeiten am Anfang einer vielversprechenden Karriere nicht entmutigen lassen.

Vor allem bei Annette Bolz schien die Nervosität diesmal beinahe mit Händen greifbar. Der Umstand, plötzlich auf dieser durch zahlreiche Weltstars so bedeutenden Birdland-Bühne zu stehen, hemmte die zierliche Sängerin zu Beginn über alle Maßen. Da wurde der Einsatz verpaßt, die Intonation ging einige Male völlig in die Hose und das drucklose Stimmchen versank bei den Up-Tempo-Nummern hoffnungslos im temperamentvollen Bebop-Drive der Band. Wer sich aus einem solchen Dilemma tatsächlich noch befreien kann, wie es Annette Bolz im wesentlich moderner strukturierten, zweiten Set gelang, der verfügt nicht nur über beachtliches Stehvermögen, sondern hat das Zeug zu einer ganz Großen.

Die Stärken der vom Funk und Rock kommenden jungen Dame liegen nämlich weniger im saftigen „Röhren“, sondern eindeutig in der beseelten Interpretation von Balladen. Gerade die schmerzliche, ganz besondere „blaue“ Melancholie des Jazz, welche die Rüschenbaum-Combo ideal in gedämpfter Moll-Stimmung inszenierte, verwandelt Annette Bolz absolut glaubhaft in zerbrechliche Töne. Nicht umsonst geriet deshalb ihr bezauberndes Trio „So In Love“ mit dem Bassisten Hennig Sieverts und dem Pianisten Walter Lang zum Höhepunkt des Abends.

Auch der Tenorist Till Martin steht vor einer bemerkenswerten Laufbahn, obwohl er sein Horn ausgesprochen „alt“, merklich an Ben Webster angelehnt bläst. Doch wer seinen zarten Schmelz, sein rauchig-schmachtendes Vibrato und seine gleißende Wärme in „Everything Happens To Me“ als Maßstab für die immer wieder zitierte muskulös-erotische Ausstrahlung des Saxophons bemüht, der kann Martins Entscheidung für die traditionellere Richtung nur gut heißen. Im Verbund mit dem herrlich phantasievollen Saitenzupfer Sieverts, dem gewohnt erfrischend soulig agiernden Tastenvituosen Lang sowie dem jugendlich überschäumenden, aber mitunter auch bis an die Grenzen der Hörbarkeit leisen Bandleader Rüschenbaum kredenzte das Quartett schlußendlich doch noch ein verspätetes klangliches Silvestermenü voller Esprit.